Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende. Bildung und Teilhabe. Ausstattung mit persönlichem Schulbedarf. Anschaffungskosten für einen Taschenrechner von der Schulbedarfspauschale erfasst. Schulbuchkosten hingegen vom Regelbedarf erfasst. evidente Bedarfsunterdeckung. Arbeitslosengeld II. Mehrbedarf. unabweisbarer laufender besonderer Bedarf. Schulbuchkosten grundsätzlich kein laufender Bedarf. verfassungskonforme Auslegung. analoge Anwendung des § 21 Abs 6 SGB 2. - siehe dazu anhängiges Verfahren beim BSG: B 14 AS 6/18 R
Leitsatz (amtlich)
1. Die Kosten für die Beschaffung eines Taschenrechners sind von der Schulbedarfspauschale des § 28 Abs 3 SGB II erfasst und können deshalb nicht als besonderer, unabweisbarer Bedarf im Sinne des § 21 Abs 6 SGB II beansprucht werden. Die Höhe der Schulbedarfspauschale (insgesamt 100 € pro Jahr) ist gegenwärtig rechtlich nicht zu beanstanden.
2. Anschaffungskosten für Schulbücher sind nicht von der Schulbedarfspauschale des § 28 Abs 3 SGB II erfasst, sondern bei der Ermittlung des Regelbedarfs berücksichtigt worden (in der Position "Bücher und Broschüren" der EVS 2008/2013, vgl § 6 RBEG 2011 [juris: RBEG] bzw § 6 RBEG [juris: RBEG 2017]).
3. Sofern die Anschaffungskosten für Schulbücher (hier: notwendige Schulbücher im Wert von 135,65 € für die 11. Klasse eines Beruflichen Gymnasiums in Niedersachen) nicht anderweitig übernommen werden (zB im Wege der Lernmittelfreiheit), deckt der Regelbedarf diese Kosten der Höhe nach evident nicht ab.
4. Kosten für Schulbücher, soweit sie nicht tatsächlich durch den Schulträger oder andere staatliche Stellen übernommen werden, sind ein durch Leistungen nach dem SGB II sicherzustellender Bedarf, weil der Bundesgesetzgeber mit dem SGB II das gesamte menschenwürdige Existenzminimum einschließlich der Kosten des Schulbesuchs sicherstellen muss (vgl BVerfG vom 9.2.2010 - 1 BvL 1/09 ua = BVerfGE 125, 175 = SozR 4-4200 § 20 Nr 12, RdNr 181f, 197; entgegen BSG vom 10.9.2013 - B 4 AS 12/13 R = SozR 4-4200 § 28 Nr 8, RdNr 27).
5. Schulbuchkosten sind zwar ein besonderer, jedoch kein laufender Bedarf im Sinne des § 21 Abs 6 SGB II (vgl BSG vom 19.8.2010 - B 14 AS 47/09 R = SozR 4-3500 § 73 Nr 2, RdNr 16).
6. Es handelt sich um eine planwidrige Regelungslücke, dass für durch Lernmittelfreiheit nicht abgedeckte Schulbuchkosten im Gesamtgefüge des SGB II keine auskömmlichen Leistungen vorgesehen sind. Diese planwidrige Regelungslücke ist durch eine analoge Anwendung des § 21 Abs 6 SGB II zu schließen, soweit der Bedarf im Einzelfall unabweisbar ist.
Nachgehend
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin werden das Urteil des Sozialgerichts Lüneburg vom 18. April 2017 in Gestalt des Berichtigungsbeschlusses vom 26. September 2017 sowie der Bescheid des Beklagten vom 15. Juli 2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. Juli 2016 geändert.
Der Beklagte wird verurteilt, der Klägerin unter teilweiser Änderung des Bewilligungsbescheides vom 26. Februar 2016 sowie der insoweit ergangenen Änderungsbescheide für Juli 2016 weitere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes in Höhe von 135,65 € zu zahlen.
Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.
Der Beklagte trägt die Hälfte der notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin beider Rechtszüge und des Widerspruchsverfahrens.
Für den Beklagten wird die Revision zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt die Bewilligung von weiteren Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) für die Anschaffung von Schulbüchern, eines grafikfähigen Taschenrechners und sonstiger Schulmaterialien.
Die am I. geborene Klägerin bezieht gemeinsam mit ihrer 1969 geborenen Mutter sowie ihren jüngeren 2005 und 2009 geborenen Geschwistern seit mindestens 2012 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II. Der Beklagte bewilligte mit Bescheid vom 26. Februar 2016 in Gestalt der Änderungsbescheide vom 22. September 2016, 7. Oktober 2016, 26. November 2016, 2. Januar 2017 und 13. Januar 2017 der Familie laufende Leistungen für den Zeitraum April 2016 bis März 2017. Als Einkommen berücksichtigte er 273 € Unterhalt für die Klägerin bis einschließlich Juli 2016 und im Übrigen laufend monatlich Kindergeld für die Klägerin in Höhe von 190 € und ihre Geschwister in Höhe von 190 € und 196 €. Außerdem bewilligte der Beklagte mit Bescheiden vom 27. Juni 2016 der Klägerin Leistungen für die Ausstattung mit persönlichem Schulbedarf in Höhe von 70 € für den 1. August 2016 und 30 € für den 1. Februar 2017. Entsprechende Bewilligungen waren auch zu den entsprechenden Zeitpunkten der Vorjahre erfolgt.
Die Klägerin ging bis Juli 2016 zur Realschule und besucht seit dem Schuljahr 2016/2017 ein Berufliches Gymnasium mit dem Schwerpunkt J. in K. bis voraussichtlich Juli 2019. Mit Schreiben vom 12. Juli 2016 beantragte die Mutter der Klägerin für diese die Bewilligung “von Leistungen nach § 21 SGB II" für die Anschaffung von Schulbüchern (insgesamt 1...