Entscheidungsstichwort (Thema)

Naturalleistungsanspruch

 

Orientierungssatz

1. Der Gesetzgeber hat bewusst Leistungen zur medizinischen Rehabilitation aus dem Anwendungsbereich des § 13 Abs 3a SGB 5 - Genehmigungsfiktion - ausgeklammert.

2. Bei einem vom Versicherten benötigten Elektrorollstuhl handelt es sich nicht um eine Reha-Leistung, sondern um eine Hilfsmittelversorgung im Rahmen des mittelbaren Behinderungsausgleichs nach § 33 Abs 1 SGB 5.

3. Damit eine Leistung als genehmigt gelten kann, bedarf es eines fiktionsfähigen Antrags. Dieser muss hinreichend bestimmt sein. Die begehrte Leistung darf nicht offensichtlich außerhalb des Leistungskatalogs der gesetzlichen Krankenversicherung liegen.

4. Die Rücknahme einer fingierten rechtswidrigen Genehmigung ist nach § 45 SGB 10 möglich, wenn die Voraussetzungen der Fiktion nicht erfüllt sind. Die Rechtswidrigkeit bezieht sich auf die Genehmigungsfiktion an sich und nicht auf den zugrunde liegenden genehmigten materiell-rechtlichen Anspruch. Somit kann eine fingierte Genehmigung nur in den Fällen zurückgenommen werden, in denen eine Fiktionsvoraussetzung nicht vorlag. Das Bestehen eines materiell-rechtlichen Anspruchs ist jedoch nicht Fiktionsvoraussetzung, sodass es darauf auch im Rahmen einer Rücknahme nicht ankommen kann.

 

Normenkette

SGB V § 13 Abs. 3a Sätze 6, 9, § 33 Abs. 1 S. 1, § 12 Abs. 1; SGB X §§ 45, 33

 

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Oldenburg vom 27. Januar 2017 wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Klägerin begehrt die Kostenübernahme für einen Elektro- Rollstuhl “Samm Qlass Lift„.

Die I. beantragte mit Kostenvoranschlag vom 1. Oktober 2015 für die 1937 geborene Klägerin unter Vorlage der ärztlichen Verordnung vom 21. September 2015 einen Luca Qlass Lift Elektro-Rollstuhl zum Preis iHv 16.075,68 Euro. Zur Begründung der geplanten Hilfsmittelversorgung wurde ausgeführt, dass der vorhandene Rollstuhl (Baujahr 2002) verschlissen und zudem die Antriebsaufhängung gebrochen und die Polsterung defekt sei. Mittlerweile sei eine laterale Armstützung in der Rückenpolsterung erforderlich. Unter dem 7. Oktober übersandte die Beklagte der behandelnden Ärztin J. einen Fragebogen über das Vorliegen der Voraussetzungen für eine Mehrfachversorgung.

Mit Bescheid vom 27. November 2015 lehnte die Beklagte eine Kostenübernahme ab, da die Klägerin bereits mit einem adäquaten Hilfsmittel versorgt sei. Eine Doppel- bzw Mehrfachausstattung sei unwirtschaftlich. Der vorhandene Elektrorollstuhl Quickie Groove mit Sitzhub könne von der Klägerin im Außen- und Innenbereich genutzt werden. Mit ihrem Widerspruch wies die Klägerin darauf hin, dass die Beklagte die 3 bzw 5-Wochenfrist nach § 13 Abs 3a Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V nicht eingehalten habe. Zwischen Eingang des Antrags und ablehnender Entscheidung seien weit mehr als fünf Wochen vergangen. Die Versorgung mit einer Zweitausstattung sei aus hygienischen Gründen unvermeidbar. Zudem führe der im Außenbereich eingesetzte Rollstuhl zu starken Verschmutzungen des Innenbereichs.

Mit Schreiben vom 28. April 2016 führte die Beklagte aus, dass Leistungen zur medizinischen Rehabilitation von einer Genehmigungsfiktion ausgenommen seien. Hilfsmittel dienten der medizinischen Rehabilitation, so dass der von der Klägerin im Rahmen des Behinderungsausgleichs beantragte Elektrorollstuhl nicht vom Anwendungsbereich des § 13 Abs 3a SGB V erfasst werde. Für den Fall, dass diese Rechtsauffassung angezweifelt werde, werde die danach vorliegende Genehmigung “vorsorglich und hilfsweise„ entsprechend § 45 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) zurückgenommen. Da die Klägerin bereits mit einem voll funktionsfähigen Elektro-Rollstuhl versorgt worden sei, bestehe kein Sachleistungsanspruch auf eine Doppelausstattung. Eine Bewilligung wäre mithin rechtswidrig. Da die Klägerin den beantragten Rollstuhl weder erhalten noch bezahlt habe, bestehe auch kein schutzwürdiges Vertrauen der Klägerin. Mit Widerspruchsbescheid vom 27. Juni 2016 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Eine Kostenübernahme scheide aus, weil eine Mehrfachausstattung nur in Ausnahmefällen möglich sei. Zum einen, wenn ein am Körper getragenes Hilfsmittel aus hygienischen Gründen gewechselt werden müsse oder wenn die gelieferte Erstattung nicht ausreiche, um alle konkret zu berücksichtigenden Grundbedürfnisse abzudecken. Diese Voraussetzungen lägen hier nicht vor. Zudem habe die Beklagte eine ggfs fiktiv eingetretene Genehmigungsfiktion mit Schreiben vom 28. April 2016 vorsorglich zurückgenommen.

Die Klägerin hat am 8. Juli 2016 Klage beim Sozialgericht (SG) Oldenburg eingelegt und die Ansicht vertreten, dass auch Hilfsmittel der Genehmigungsfiktion nach § 13 Abs 3a SGB V unterfielen. Andernfalls käme man zu dem Ergebnis, dass die Neuregelung gerade da versage, wo sie am Dringendsten benötigt werde: bei schweren Erkrankungen, Pflegebedürftigkeit oder Behinderungen. Zudem unterscheide d...

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