Entscheidungsstichwort (Thema)
Pflegegeld. Sicherstellung der Pflege durch den Pflegebedürftigen
Orientierungssatz
Zur Frage, ob der Anspruch auf Pflegegeld entfällt, wenn die Sicherstellung der Pflege durch den Pflegebedürftigen nicht gewährleistet ist.
Nachgehend
Tenor
Das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 15. August 2006 wird abgeändert und die Beklagte verurteilt, der Klägerin ab 7. Dezember 2007 Pflegegeld entsprechend der Pflegestufe I in Höhe der Tarifleistung von 30 % (61,50 € monatlich) zu zahlen.
Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
Die Beklagte hat der Klägerin 1/6 der außergerichtlichen Kosten für das Berufungsverfahren zu erstatten. Im Übrigen sind Kosten nicht zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob - und ggf. ab wann - die Klägerin Anspruch auf Gewährung von Pflegeleistungen entsprechend der Pflegestufe I hat.
Die im Jahr 1923 geborene Klägerin leidet unter Beschwerden bei Spondylose und Polyarthrose sowie dem Zustand nach Kniegelenk-TEP bei Gonarthrose im linken Knie und einer Makuladegeneration auf beiden Augen, die zu einer starken Sehschwäche führt. Außerdem besteht bei ihr eine inkomplette Harn- und inzwischen auch Stuhlinkontinenz. Am 28. April 2003 beantragte sie bei der Beklagten die Gewährung von Leistungen der Pflegeversicherung. Die Beklagte beauftragte die M (Gesellschaft für Medizinische Gutachten) GmbH mit der Begutachtung der Klägerin. Dr. H schätzte in seinem Gutachten vom 22. Mai 2003 den täglichen Hilfebedarf für die Verrichtungen der Grundpflege mit 0 Minuten ein. Mit Schreiben vom 7. Juni 2003 lehnte daraufhin die Beklagte die Gewährung von Pflegeleistungen ab. Die Klägerin überreichte ein ärztliches Attest vom 30. Juni 2003, wonach bei ihr eine hochgradige Sehstörung vorliegt, und einen Bericht ihres Internisten Dr. B vom 1. September 2003. Die Beklagte beauftragte die M GmbH erneut mit der Begutachtung der Klägerin. In seinem Gutachten vom 25. November 2003 schätzte Dr. N den täglichen Hilfebedarf für die Verrichtungen der Grundpflege auf 15 Minuten und den Hilfebedarf insgesamt auf 60 Minuten ein. Mit Schreiben vom 15. Dezember 2003 und 9. März 2004 lehnte die Beklagte die Gewährung von Pflegeleistungen erneut ab.
Mit ihrer Klage vom 17. Juni 2004 hat die Klägerin ihr Begehren weiterverfolgt. Zur Begründung hat sie angeführt, seit 1998 leide sie an einer beidseitigen Makuladegeneration, ihre Sehkraft betrage auf beiden Augen nur noch 1/20. Dies beeinträchtige sie bei vielen der im Gesetz genannten Verrichtungen, so z. B. beim Waschen und Duschen und beim Essen. Außerdem sei sie in ihrer Beweglichkeit erheblich eingeschränkt, dies betreffe nicht nur die Beine, sondern auch die Arme. Der tatsächliche Hilfebedarf sei sehr viel umfangreicher als von den M Gutachtern festgestellt. Insbesondere beim Waschen und Duschen, wozu auch das in der Woche zweimal stattfindende Haarewaschen und -trocknen gehöre, falle ein Hilfebedarf von fast 15 Minuten an, beim Baden seien dies 20 Minuten täglich. Auch könne sie sich nicht mehr allein kämmen. Aufgrund ihrer Sehschwäche benötige sie Hilfe beim Einschenken von Getränken und Zubereiten der Butterbrote. Außerdem könne sie das auf dem Teller angerichtete Essen praktisch nicht sehen. Sie könne sich nur dadurch in ihrer Wohnung fortbewegen, dass sie sich an den Einrichtungsgegenständen abstütze, Gehhilfen benutze oder sich auf eine Person stütze. Bei Wegen außerhalb der Wohnung, z. B. zur Apotheke oder zur Post, benötige sie ebenfalls Hilfe. Sie hat einen Befundbericht der Medizinischen Hochschule Hannover (Augenklinik Prof. Dr. W) vom 12. Februar 2004 beigefügt.
Das Sozialgericht (SG) hat einen Befundbericht des Internisten Dr. B vom 2. Dezember 2004 eingeholt, der darin u. a. ausgeführt hat, die Mobilität der Klägerin sei mittelgradig eingeschränkt und sie benötige keine Hilfe bei der Körperpflege. Weiter hat es das Pflegegutachten des Arztes für Innere Medizin, Sozialmedizin und Rehabilitation Dr. S vom 7. Januar 2005 eingeholt. Er hat darin den täglichen Hilfebedarf für die Verrichtungen der Grundpflege auf 18 Minuten eingeschätzt. Mit Datum vom 28. April 2005 hat er eine ergänzende Stellungnahme abgegeben, nachdem die Klägerin ein Attest des Internisten Dr. V-S vom 18. Februar 2005 übersandt hatte. Außerdem hat sie ihren Schriftsätzen Befundberichte der Universitätsklinik H-E (Klinik für Augenheilkunde Prof. R) und des Augenarztes Dr. W vom 21. August 2006 beigefügt.
Mit Urteil vom 15. August 2006 hat das SG die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass sich insbesondere aus dem Gutachten von Dr. S vom 7. Januar 2005 ergebe, dass der tägliche Hilfebedarf im Bereich der Grundpflege eindeutig unter 46 Minuten liege. Die Einschätzung des Gutachters werde auch von den Ärzten Dr. V-S und Herrn T nicht widerlegt. Überwiegend sei der von diesen Ärzten geschilderte Hilfebedarf aus rechtlichen Erwägungen nicht zu berück...