Entscheidungsstichwort (Thema)

Bewertung eines Diabetes Typ I bei Kindern und Jugendlichen

 

Leitsatz (amtlich)

Eine gravierende Beeinträchtigung in der Lebensführung bei insulinpflichtigen minderjährigen Diabetikern mit der Folge der Bemessung des Einzel-GdB mit 50 folgt nicht bereits aus allgemeinen, allein im Lebensalter begründeten psychisch-sozialen Erwägungen (hier: Zum Zeitpunkt der Diagnose 13-jähriger, zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung 17jähriger Kläger). Eine gravierende Beeinträchtigung in der Lebensführung liegt vielmehr erst dann vor, wenn damit verbundene Befürchtungen, etwa in Bezug auf Verhaltensauffälligkeiten, sich im Einzelfall realisieren. Entsprechend gravierende Beeinträchtigungen in der Lebensführung liegen in diesem Sinne nicht bei einem Jugendlichen vor, der in der Schule beliebt ist, gute schulische Leistungen erzielt und sich in psychischer Hinsicht altersentsprechend unauffällig verhält (Anschluss anLSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 27. Oktober 2022 L 11 SB 65/18 juris Rn. 12 unter Hinweis auf die VorinstanzSG Berlin, Urteil vom 21. Februar 2018 S 178 SB 1106/16 ).

Das Maß der aus einer Behinderung resultierenden Teilhabebeeinträchtigung ist grundsätzlich altersunabhängig zu bestimmen (Anschluss anLSG Baden-Württemberg, Urteil vom 26. September 2014 L 8 SB 5215/13 juris Rn. 31 ). Die Werte der VMG stellen altersunabhängige Mittelwerte dar.

 

Normenkette

VMG Teil A Nr. 2d; VMG Teil B Nr. 15

 

Verfahrensgang

SG Oldenburg (Urteil vom 13.06.2023; Aktenzeichen S 12 SB 14/21)

 

Tenor

Die Berufung wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt die Feststellung eines Grades der Behinderung (GdB) von 50 statt bislang 40 und mithin der Schwerbehinderteneigenschaft.

Am 25. September 2020 stellte der im März 2006 geborene Kläger aufgrund einer im Januar 2020 diagnostizierten Erkrankung an Diabetes Typ I einen Erstfeststellungsantrag beim Beklagten. Im Rahmen der nachfolgenden medizinischen Ermittlungen berichtete der Hausarzt des Klägers Dr. J. über den insulinpflichtigen Diabetes, Kontrollen erfolgten alle drei Monate im Klinikum K.. Einen Bericht von dort fügte er bei, Hypoglykämien seien selten, die Therapie werde sehr gewissenhaft und zuverlässig durchgeführt. Bei Erstdiagnose im Januar 2020 war eine zehntägige stationäre Behandlung erforderlich geworden. Es wurden Diabetesschulungen auch der Eltern durchgeführt, der Kläger konnte in gutem Allgemeinzustand nach Hause entlassen werden. Nach Konsultation des Ärztlichen Dienstes stellte der Beklagte mit Bescheid vom 27. Oktober 2020 den GdB des Klägers ab Antragstellung mit 40 sowie das Merkzeichen H fest.

Der Kläger legte, vertreten durch seine Eltern, Widerspruch ein, den diese mit Schreiben vom 6. Dezember 2020 insbesondere unter Hinweis auf die vielfältigen Benachteiligungen des Klägers als Diabetiker gegenüber gleichaltrigen Jugendlichen begründeten. Zudem wurde eine Blutzuckerdokumentation vorgelegt. Der Ärztliche Dienst des Beklagten führte hierzu aus, diese Dokumentation belege eine gelingende Zuckereinstellung durch die intensivierte Insulintherapie. Milde Unterzuckerungen seien dokumentiert worden, hätten jedoch keinen Fremdhilfebedarf und keine Lebensbedrohlichkeit zur Folge gehabt. Daraufhin wies der Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 28. Dezember 2020 zurück.

Der Kläger hat am 13. Januar 2021 Klage erhoben. Er hat im Wesentlichen sein Vorbringen aus dem Verwaltungsverfahren wiederholt und vertieft. Ein Vergleich mit gesunden Kindern aus dem Umfeld des Klägers mache es unmöglich, keine gravierenden Einschnitte in die Lebensführung des Klägers zu sehen. Unter anderem erfordere die Teilnahme an üblichen Freizeitaktivitäten einen erheblichen planerischen Aufwand. Besonders hervorzuheben sei die nächtliche Hilfebedürftigkeit, hier bestehe ein Fremdhilfebedarf durch die Eltern des Klägers, weswegen er auch nicht auswärts übernachten könne. Der Kläger hat weitere ärztliche Berichte und Diabetestagebücher vorgelegt.

Mit Teilanerkenntnis vom 1. März 2021 hat der Beklagte den GdB des Klägers bereits ab dem 1. Januar 2020 mit 40 festgestellt, ferner ist das Merkzeichen H erneut festgestellt worden. Unter dem gleichen Datum ist ein Ausführungsbescheid ergangen. Gemäß einer Stellungnahme des Ärztlichen Dienstes vom 18. Februar 2021 liege eine Schwerbehinderung jedoch nicht vor. Unstrittig bringe die Erkrankung eine gravierende Änderung der Lebensgewohnheiten des Klägers mit sich, die Unterlagen - die Arztberichte und vorgelegten Diabetestagebücher - belegten aber eine gute Stoffwechseleinstellung bei sehr gewissenhaftem und zuverlässigem Umgang mit der Zuckerkrankheit. Schwere Hypoglykämien mit erforderlicher Fremdhilfe seien nicht belegt.

Das Sozialgericht (SG) Oldenburg hat ärztliche Befundberichte eingeholt. Die Ärztin K. am Klinikum K. hat über eine gute Stoffwechseleinstellung berichtet. Berichtet hat ferner der Hausarzt Dr. J., er hat dargelegt, die Ther...

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