Entscheidungsstichwort (Thema)
Schwerbehindertenrecht. Nachteilsausgleich aG. Einschränkung der Gehfähigkeit. Prüfung der zumutbaren Wegstrecke. Prüfungskriterien
Orientierungssatz
Zum Anspruch auf Zuerkennung des Nachteilsausgleichs aG bei Auftreten massiver Schmerzen nach einer Wegstrecke von nur 20 m, einer maximalen Gehstrecke von 100 m wegen Luftnot sowie der Fortbewegung innerhalb der Wohnung mittels Gehhilfe bzw mittels Abstützen an Einrichtungsgegenständen.
Nachgehend
Tatbestand
Streitbefangen ist die Zuerkennung des Nachteilsausgleiches "aG" (außergewöhnliche Gehbehinderung).
Auf den Antrag des 1927 geborenen Klägers auf Feststellung eines Grades der Behinderung (GdB) nach dem (damals noch geltenden) Schwerbehindertengesetz (SchwbG) und auf Zuerkennung der Nachteilsausgleiche "G", "aG" und "RF" stellte der Beklagte nach Einholung von Befundberichten des HNO-Arztes Dr. H. (ohne Datum; Eingang beim Beklagten am 19. Juni 2000), des Augenarztes Dr. I. vom 16. Juni 2000 und des Internisten Dr. J. vom 26. Juni 2000 zunächst einen GdB von 80 und das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen für den Nachteilsausgleich "RF" fest. Dagegen lehnte er die Zuerkennung der Nachteilsausgleiche "G" und "aG" ab (Bescheid vom 23. November 2000). Im Laufe des Widerspruchsverfahrens stellte der Beklagte nach Einholung eines Befundberichtes des Orthopäden Dr. K. vom 8. Juni 2001 zusätzlich die gesundheitlichen Voraussetzungen des Nachteilsausgleiches "G" fest (Teil-Abhilfebescheid vom 20. August 2001). Der weitergehende Widerspruch wurde unter Übernahme der Kosten des Vorverfahrens zu 1/3 zurückgewiesen (Widerspruchsbescheid vom 24. Oktober 2001).
Mit der am 29. November 2001 beim Sozialgericht (SG) Hannover erhobenen Klage hat der Kläger die Feststellung eines höheren GdB und die Zuerkennung des Nachteilsausgleiches "aG" begehrt. Zur Begründung hat er ausgeführt, dass er nicht in der Lage sei, auch nur kürzeste Wegstrecken ohne Inanspruchnahme technischer Hilfsmittel beschwerde- bzw. gefahrenfrei zurückzulegen. Gerade die Durchblutungsstörungen hätten zu einer massiven Beschwerdezunahme geführt. Nachdem im Klageverfahren Befundberichte des Orthopäden Dr. K. vom 20. Juni 2002 und des Internisten Dr. J. vom 10. Juli 2002 (nebst Anlagen) sowie die Gutachten des Internisten Dr. L. vom 19. August 2003 und der Augenärztin M. vom 5. März 2004 eingeholt worden waren, hat der Beklagte mittels Teil-Anerkenntnissen vom 15. Mai 2003 und 22. April 2004 den GdB mit Wirkung ab November 2002 mit 90 und mit Wirkung ab 1. März 2004 mit 100 bewertet. Diese Teil-Anerkenntnisse hat der Kläger mit Schriftsätzen vom 16. Juli 2003 und 6. Mai 2004 angenommen. Der GdB-Bewertung des letzten Teil-Anerkenntnisses liegen folgende Gesundheitsstörungen zugrunde:
1. Schädigungsfolgen nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) laut Bescheid des Versorgungsamtes Hannover vom 9. Juli 1952
(a) traumatische Hirnleistungsschwäche
(b) Restschwäche einer linksseitigen Gliedmaßenlähmung mit Fühlstörungen nach Hirnquetschung bei Narbe des Hinterkopfes
(c) Narbe re. Oberarm
(d) Schwerhörigkeit hohen Grades mit Trommelfelldurchlöcherung links. Neigung zu Ohreiterungen (verwaltungsinterner Einzel-GdB: 50),
2. Hörminderung beidseits (verwaltungsinterner Einzel-GdB: 50),
3. praktische Blindheit rechts; Gesichtsfeldeinschränkung beidseits (verwaltungsinterner Einzel-GdB ab März 2004: 50),
4. Herz-Kreislaufschaden; koronare Herzkrankheit (verwaltungsinterner Einzel-GdB ab November 2002: 40),
5. umformende Veränderungen der Wirbelsäule und Gelenke (verwaltungsinterner Einzel-GdB: 30),
6. Hirndurchblutungsstörung (verwaltungsinterner Einzel-GdB: 20).
Das SG hat den Beklagten auf die weitergehende Klage zur Feststellung eines GdB von 100 bereits ab November 2002 (anstatt ab 1. März 2004) verurteilt. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass die Diabeteserkrankung des Klägers bereits seit November 2002 insulinpflichtig sei, so dass der Gesamt-GdB bereits ab diesem Zeitpunkt 100 betrage. Dagegen hat das SG die auf die Zuerkennung des Nachteilsausgleiches "aG" gerichtete Klage abgewiesen. Der Kläger gehöre weder zu dem Kreis der Schwerbehinderten, der in der einschlägigen Verordnung ausdrücklich als anspruchsberechtigt genannt werde, noch könne er diesem Personenkreis hinsichtlich seiner Gehfähigkeit gleichgestellt werden. Eine solche Gleichstellung habe aus medizinischer Sicht der Sachverständige Dr. L. ausdrücklich verneint. Auch aus den Befundberichten des behandelnden Orthopäden Dr. K. (zumutbare Gehstrecke über 300 m ohne Hilfsmittel) und des behandelnden Internisten Dr. J. (Gehstrecke von 400 m mit Gehstock, danach Auftreten von Schmerzen) ergebe sich, dass die Gehfähigkeit noch nicht aufs Schwerste eingeschränkt sei.
Der Beklagte hat in Ausführung des Urteils des SG unter dem 13. Oktober 2004 einen Ausführungsbescheid erlassen (Feststellung eines GdB von 100 ab 1. November 2002).
Gegen das dem Kläger am 6. Oktobe...