Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitslosengeld II. Sonderbedarf. Reparaturkosten einer Brille. kein Bestandteil des Regelbedarfs. Therapeutisches Gerät. Wirtschaftlichkeitsgebot
Leitsatz (amtlich)
Reparaturkosten einer Brille können einen Sonderbedarf iS des § 24 Abs 3 S 1 Nr 3 SGB II darstellen.
Normenkette
SGB II § 24 Abs. 3 S. 1 Nr. 3, S. 2; SGB V § 33 Abs. 2
Nachgehend
Tenor
Der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Oldenburg vom 2. Februar 2015 wird abgeändert und der Bescheid des Beklagten vom 10. Juli 2014 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 29. August 2014 wird aufgehoben.
Der Beklagte wird verurteilt, dem Kläger Kosten für die Reparatur seiner Brille i.H.v. 66,00 € zu erstatten.
Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
Der Beklagte hat dem Kläger dessen außergerichtliche Kosten beider Rechtszüge zu 3/5 zu erstatten.
Die Revision wird zu gelassen.
Tatbestand
Der Kläger begehrt die Erstattung von Kosten für die Reparatur seiner Brille.
Der 1960 geborene Kläger steht im laufenden Bezug von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Am 3. Juni 2014 beantragte er beim Beklagten die Übernahme der Reparaturkosten für ein Brillenglas “nach § 24 Abs. 3 Nr. 3 SGB II/§ 31 Abs. 3 SGB XII„. Er fügte eine Rechnung des Augenoptikers XY vom 3. Juni 2014 über einen Betrag von 110,00 € bei. Dieser Betrag setzte sich wie folgt zusammen:
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Einarbeiten Gläser |
10,00 € |
1 Glas links |
65,50 € |
Entspiegelung |
44,00 € |
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9,50 € |
Gesamtpreis |
110,00 € |
Der Dioptrienwert des eingearbeiteten Glases betrug - 1,00, der Zylinderwert - 0,75.
Mit Bescheid vom 10. Juli 2014 lehnte der Beklagte den Antrag - gestützt auf § 24 Abs. 1 i.V.m. § 20 SGB II - ab. Zur Begründung führte er aus, die vom Kläger beantragte Sonderleistung sei durch den gewährten Regelbedarf abgedeckt und stelle keinen unabweisbaren Bedarf zur Sicherung des Lebensunterhaltes dar.
Am 22. Juli 2014 erhob der Kläger Widerspruch. Er verwies auf § 24 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 SGB II, dem zufolge die Bedarfe für Reparaturen von therapeutischen Geräten nicht vom Regelbedarf erfasst seien. Weiter machte er geltend, es liege ein unabweisbarer Mehrbedarf im Sinne des § 21 Abs. 6 SGB II vor. Mit Widerspruchsbescheid vom 29. August 2014 wies der Beklagte den Widerspruch zurück. Er führte aus, Brillen seien bereits dem Wortlaut nach keine Geräte, so dass § 24 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 SGB II nicht einschlägig sei. Des Weiteren verwies er auf die Gesetzesbegründung (BT-Drs. 17/3404, S. 103), in der es heiße: “Die Bedarfe für diese Positionen (Reparaturen von therapeutischen Geräten und Ausrüstungen) der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe fließen künftig nicht mehr in die Bemessung des Regelbedarfs ein. Anders als bei den typischen langlebigen Verbrauchsgütern (z.B. Brillen, Waschmaschinen, Kühlschränken, Fahrrädern) handelt es sich hier um sehr untypische Bedarfslagen. Die seltene und untypische Bedarfslage (Reparatur von therapeutischen Geräten und Ausrüstungen) wird wegen der Höhe der benötigten Mittel nun gesondert berücksichtigt.„ Daraus folge - so der Beklagte -, dass der Gesetzgeber Brillen nicht als therapeutische Geräte anerkennen wollte.
Am 17. September 2014 hat der Kläger vor dem Sozialgericht (SG) Oldenburg Klage erhoben. Er hat vorgetragen, bei einer Brille handele es sich nicht nur um ein therapeutisches Gerät. Sie diene vielmehr dazu, die Teilhabe am “sozial-kulturellen Leben„ zu ermöglichen. Der Beklagte hat der Klage entgegengehalten, ein Anspruch nach § 21 Abs. 6 SGB II scheitere bereits am fehlenden laufenden Bedarf. Ein Anspruch nach § 24 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 SGB II komme nicht in Betracht, da eine Brille kein “therapeutisches Gerät„ sei. Mit Gerichtsbescheid vom 2. Februar 2015, dem Kläger zugegangen am 10. Februar 2015, hat das SG die Klage abgewiesen. Dabei hat es sich der Auffassung des Beklagten angeschlossen, der Gesetzgeber habe Brillenanschaffung und -reparatur dem Regelbedarf zugeordnet.
Auf die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers vom 17. Februar 2015 hat der erkennende Senat mit Beschluss vom 1. April 2015 die Berufung zugelassen. Er hat ausgeführt, die Rechtsfrage, ob die Kosten für die Reparatur einer Brille als Sonderbedarf von der Regelung des § 24 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 Var. 2 SGB II erfasst seien, besitze grundsätzliche Bedeutung. Denn über den Einzelfall hinaus dürften hiervon in einer unbestimmten Anzahl ähnlich liegender Fälle weitere Leistungsbezieher betroffen sein. Zudem habe das SG Osnabrück in einem Urteil vom 4. Februar 2013 (S 33 AS 46/12) im Gegensatz zum SG Oldenburg einen Anspruch bejaht. Die Zulassung der Berufung sei daher im Interesse der Allgemeinheit an einer einheitlichen Rechtsprechung geboten. Der vom Kläger zitierte Beschluss des Landessozialgerichts (LSG) Nordrhein-Westfalen vom 12. Juni 2013 (L 7 AS 138/13 B) betreffe lediglich die Anschaffung, nicht die Reparatur einer Brille. Weiter hat der Senat ausgeführt, die Gesetzesbegründ...