Entscheidungsstichwort (Thema)
Abtretung von Arbeitslosengeld. Feststellung des wohlverstandenen Interesses des Berechtigten. Fortsetzungsfeststellungsklage. Privatverein als Abtretungsgläubiger. unpfändbarer Betrag
Leitsatz (amtlich)
1. Eine Feststellung des wohlverstandenen Interesses für Zeiträume, für die der verpflichtete Sozialleistungsträger bereits in vollem Umfang Leistungen an den Berechtigten erbracht hat, ist unzulässig (vgl BSG vom 6.4.2000 - B 11 AL 47/99 R = SozR 3-1200 § 53 Nr 5).
2. Rechtsschutz ist daher über eine Fortsetzungsfeststellungsklage zu erlangen.
3. Dem wohlverstandenen Interesse des Berechtigten steht nicht entgegen, dass der Abtretungsgläubiger ein privatrechtlicher Verein ist, wenn dieser dem Interesse des Berechtigten hinreichend Rechnung trägt.
4. Die Abtretung kann auch den nicht pfändbaren Mindestbetrag erfassen, ohne dass das wohlverstandene Interesse entgegensteht.
Tenor
Das Urteil des Sozialgerichts Lüneburg vom 1. Juli 2005 wird geändert.
Es wird festgestellt, dass der Bescheid der Beklagten vom 10. Februar 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. März 2003 rechtswidrig und die Beklagte verpflichtet war, festzustellen, dass die vom Beigeladenen am 30. Januar 2003 erklärte Abtretung der Ansprüche “auf Zahlung von Alg gegenüber dem Arbeitsamt K.„ an den Kläger im Zeitraum vom 1. März 2003 bis zum 5. Mai 2003 im wohlverstandenen Interesse des Beigeladenen lag.
Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt drei Viertel der Kosten des Berufungsverfahrens. Der Kläger trägt ein Viertel der Kosten des Berufungsverfahrens. Kosten des Beigeladenen werden nicht erstattet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird endgültig auf 2.245,98 € festgesetzt.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Feststellung des sog. “wohlverstandenen Interesses„ im Sinne von § 53 Abs 2 Nr 2 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I).
Der Beigeladene wurde im Jahre 1948 geboren. Ab 8. April 2002 wurde ihm Arbeitslosengeld (Alg) für 780 Tage bewilligt. Mit Schreiben vom 19. Juni 2002 erklärte er gegenüber der Beklagten, dass er alkoholabhängig sei und seine Arbeit nach einem Rückfall nicht mehr ausüben könne. Aus diesem Grund befand sich der Beigeladene vom 11. Juni 2002 bis 30. September 2002 in stationärer Behandlung im Nds. Landeskrankenhaus in K.. Bereits seit 6. April 2002 wohnte der Beigeladene bei dem Kläger, einem eingetragenen Verein, der eine Obdachlosenunterkunft betreibt. Der Kläger sorgte für die Unterkunft und für die komplette Verpflegung des Beigeladenen. Mit Vereinbarung vom 8. April 2002 trat der Beigeladene seine Ansprüche auf Zahlung von Alg hinsichtlich des pfändbaren und des unpfändbaren Teils an den Kläger zur Sicherung der an den Beigeladenen laufend erbrachten Leistungen ab. Die Beklagte bestreitet die Kenntnis dieser Abtretung.
Mit Abtretungsvereinbarung vom 30. Januar 2003 trat der Beigeladene den pfändbaren und unpfändbaren Teil seines Anspruches auf Alg zur Sicherung der vom Kläger an den Beigeladenen laufend erbrachten Leistungen oder zur Erstattung der bereits laufend erbrachten Leistungen ab. Zu diesem Zeitpunkt hatte der Kläger Unterkunfts-/Pflegekosten in Höhe von ca. 10.000,-- € bereits seit 6. April 2002 erbracht, ohne dass der Beigeladene diese an den Kläger gezahlt hätte.
Mit Schreiben vom 31. Januar 2003 - bei der Beklagten per FAX am 31. Januar 2003 eingegangen und schriftlich am 5. Februar 2003 nachgesandt - teilte der Kläger der Beklagten die an ihn erfolgte Abtretung mit und bat unter Vorlage des Originals der Abtretungserklärung vom 30. Januar 2003 - eingegangen bei der Beklagten am 5. Februar 2003 - um sofortige Zahlungseinstellung an den Beigeladenen.
Die Beklagte zahlte dem Beigeladenen ein wöchentliches Alg in Höhe von 238,21 €, täglich von 34,03 €. In den Zeiträumen vom 1. Januar bis 31. März 2003 bezog der Beigeladene daher Alg in Höhe von: 1054,93 €, vom 1. April 2003 bis 30. April 2003: 1020,90 € und vom 1. Mai 2003 bis 5. Mai 2003: 170,15 €. Zum 5. Mai 2003 verzog der Beigeladene in eine eigene Wohnung in K..
Daneben bezog der Beigeladene auch Sozialhilfe. Seit dem Aufnahmetag in der Unterkunft und spätestens bis zum Verlassen der Unterkunft des Klägers, war ihm Hilfe in besonderen Lebenslagen (§ 72 Bundessozialhilfegesetz - BSHG) in Form von Betreuungskosten gewährt worden. Die Abrechnung der Betreuungskosten erfolgte direkt mit dem Kläger. Daneben wurde dem Beigeladenen ein Grundbarbetrag (§ 21 Abs 3 BSHG) in Höhe von 87,90 € ab 1. Juli 2002 monatlich gewährt (Bescheid vom 25. Juli 2002). Mit Änderungsbescheid vom 18. September 2003 wurde der monatliche Zusatzbarbetrag (§ 21 BSHG ) im Mai 2002 auf 39,03 € und ab Juni 2002 auf 44,40 € festgesetzt. Der Kostenbeitrag des Beigeladenen wurde für diese Monate auf 703, 93 € bzw. 740,- € festgelegt; monatliche Einnahmen des Beigeladenen in Höhe von 780,62 € bzw. 1032,25 € wurden hierbei berücksichtigt. Im Zeitraum vom 1. Januar 2003 bis 31. Dezember...