Entscheidungsstichwort (Thema)
Nachforderung von Sozialversicherungsbeiträgen für polnische Saisonarbeitskräfte bei Überschreiten der geringfügigen Beschäftigung
Orientierungssatz
1. Eine geringfügige Beschäftigung besteht nach § 8 Abs 1 Nr. 2 SGB 4, wenn die Beschäftigung auf zwei Monate oder 50 Arbeitstage begrenzt ist. Das Beschäftigungsverhältnis muss zunächst von vorneherein vertraglich oder seiner Natur entsprechend begrenzt sein.
2. Jede Modifizierung des Vertragsformulars bedarf bei einem ausländischen Arbeitnehmer der zweisprachigen Schriftform. Anderenfalls liegt eine wirksame schriftliche Abänderung des Arbeitsvertrags nicht vor, vgl. BSG, Beschluss vom 10. September 2012 - B 12 KR 110/11.
3. Die Beschäftigung eines polnischen Erntehelfers ist nach ihrer Eigenart nicht geringfügig i. S. von § 8 Abs. 1 Nr. 2 SGB 4, wenn sie sich auf einen Zeitraum von mehr als zwei Monaten erstreckt, der Arbeitseinsatz nachfrageabhängig oder witterungsbedingt ist und eine Abrufbereitschaft besteht.
4. Der Beitragsanspruch entsteht unabhängig von der Erfüllung des Anspruchs auf Arbeitsentgelt. Bei der Nachforderung von Sozialversicherungsbeiträgen muss der Versicherungsträger Säumniszuschläge erheben. Diese haben die Funktion eines standardisierten Mindestschadensausgleichs. Ermessen ist ausgeschlossen.
Tenor
Die Berufung wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens, mit Ausnahme der Kosten der Beigeladenen.
Der Streitwert wird auf 43.218,35 € festgesetzt.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist die Nachforderung von Sozialversicherungsbeiträgen für polnische Saisonarbeitskräfte.
Der Kläger bewirtschaftet ein landwirtschaftliches Pachtunternehmen. Er verkauft im Wesentlichen Heu und Stroh. Er beschäftigte in dem streitigen Zeitraum vom 1. Januar 2000 bis 31. Dezember 2003 polnische Saisonarbeitskräfte. Dabei füllte er jeweils das Formular "Einstellungszusage/Arbeitsvertrag" für die Branche "Land-/Forstw./Wein-/Obstbau;Gemüseverarbeitung;Sägewerke" aus und gab jeweils den Beschäftigungszeitraum (3 Monate) der Arbeitnehmer sowie die wöchentliche Arbeitszeit an ("durchschnittlich 30 Stunden an 5 Tagen pro Woche" bzw "durchschnittlich 40 (42) Stunden an 6 Tagen pro Woche").
Das Arbeitsamt I. - Bekämpfung illegaler Beschäftigung führte am 8. August 2002 eine Außenprüfung durch und traf die polnischen Staatsangehörigen J., K. und L. bei Maurerarbeiten an. Zum Teil waren die Arbeiter nicht im Besitz eines Visums.
Die Beklagte führte in der Zeit vom 20. Oktober 2004 bis 27. April 2005 eine Betriebsprüfung bei dem Kläger durch und forderte nach Anhörung vom 9. Mai 2005 mit Bescheid vom 27. Dezember 2005 für die Zeit vom 1. Januar 2000 bis 31. Dezember 2003 Beiträge in Höhe von 55.995,27 € inklusive Säumniszuschläge in Höhe von 14.720,81 € nach. Sie führte zur Begründung aus, die sozialversicherungsrechtliche Beurteilung von Arbeitsentgelt richte sich nach dem Steuerrecht. Die Versicherungspflicht ausländischer Arbeitnehmer sei in gleicher Weise zu beurteilen wie die deutscher Arbeitnehmer. Auch ausländische Arbeitnehmer unterlägen in Deutschland grundsätzlich der Versicherungspflicht. Ausnahme sei eine kurzfristige Beschäftigung. Diese liege vor, wenn die Beschäftigung seit ihrem Beginn auf längstens zwei Monate oder 50 Arbeitstage nach ihrer Eigenart begrenzt zu sein pflegt oder vertraglich begrenzt sei. Eine kurzfristige Beschäftigung liege nicht vor, wenn sie berufsmäßig ausgeübt werde und das Arbeitsentgelt 630,00 DM bzw 325,00 € überschreite. Vom Zweimonatszeitraum sei auszugehen, wenn die Beschäftigung an mindestens fünf Tagen in der Woche ausgeübt werde. Bei weniger als fünf Tagen Beschäftigung in der Woche sei auf 50 Arbeitstage abzustellen. Die versicherungsrechtliche Beurteilung habe im Voraus zu erfolgen. Bei dem größten Teil der Saisonarbeitskräfte seien hier Arbeitserlaubnisse für drei Monate beantragt und vom Arbeitsamt für 30 bis 40 Stunden an vier bis sechs Tagen pro Woche erteilt worden. Witterungsbedingte Unterbrechungen würden nicht zu einer Anwendung der 50 Arbeitstageregelung führen. Bei Erntehelfern ließen sich im Voraus keine konkreten Angaben über den Umfang des Arbeitseinsatzes machen. Alle polnischen Saisonkräfte seien laut Fragebogen Selbstständige und hätten fast alle in der Stadt M. gewohnt. Der landwirtschaftliche Sozialversicherungsträger N. habe aber nur für fünf Arbeitnehmer eine Versicherungspflicht als selbständige Landwirte bestätigt.
Der Kläger legte am 30. Januar 2006 Widerspruch ein, den er bezüglich der Arbeitnehmer O., L., P., Q. wieder zurücknahm. Er führte zur Begründung aus, dass alle übrigen Arbeitnehmer in Polen selbstständige Landwirte gewesen seien. Dies sei durch die Bestätigung der Heimatgemeinde im Fragebogen bewiesen worden. Die der Beklagten von der N. übermittelten Informationen seien insoweit fehlerhaft. Maßgebend sei allein die tatsächliche selbstständige Tätigkeit in Polen. Diese sei durch die Bescheinigungen der Gemeinde bestätigt w...