Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Pflegeversicherung. häusliche Krankenpflege. Kostenerstattungsanspruch eines Versicherten für das An- und Ablegen eines Stützkorsetts zur Sicherung des ärztlichen Behandlungserfolgs (hier: Verhinderung der Verschlimmerung einer Wirbelsäulenerkrankung). Vorliegen einer krankheitsspezifischen verrichtungsbezogenen Pflegemaßnahme. Abgrenzung Behandlungssicherungs- und Grundpflege. Möglichkeit von Überschneidungen
Orientierungssatz
1. Nach § 37 Abs 2 S 1 SGB 5 erhalten Versicherte als häusliche Krankenpflege ua Behandlungspflege, wenn diese zur Sicherung des Ziels der ärztlichen Behandlung erforderlich ist. Der Anspruch umfasst verrichtungsbezogene krankheitsspezifische Pflegemaßnahmen auch in den Fällen, in denen dieser Hilfebedarf bei Feststellung der Pflegebedürftigkeit nach §§ 14, 15 SGB 11 zu berücksichtigen ist.
2. Dient das An- und Ablegen eines Stützkorsetts der Verhinderung der Verschlimmerung einer Wirbelsäulenerkrankung und damit der Sicherung des Erfolgs der ärztlichen Behandlung, handelt es sich um eine krankheitsspezifische verrichtungsbezogene Pflegemaßnahme, die im Rahmen der Behandlungssicherungspflege von der Krankenkasse zu leisten ist (vgl SG Aachen vom 13.9.2011 - S 13 KN 70/11 KR = PflR 2012, 55).
3. Die Regelungen in der HKP-Richtlinie (juris: HKPRL) einschließlich der das Leistungsverzeichnis beinhaltenden Anlage sind nicht so zu verstehen, dass die bei der Grundpflege aufgeführten Maßnahmen als Maßnahmen der Behandlungspflege von vorherein nicht in Betracht kommen. Eine solche Auslegung würde gegen die ausdrückliche gesetzliche Bestimmung des § 37 Abs 2 S 1 Halbs 2 SGB 5 verstoßen, mit welcher der Gesetzgeber klargestellt hat, dass verrichtungsbezogene krankheitsspezifische Pflegemaßnahmen vom Anspruch auf Behandlungspflege umfasst sind. Bei den grundpflegerischen Maßnahmen kann es daher Überschneidungsbereiche geben, wenn diese zugleich krankheitsspezifisch sind und der Behandlungssicherung dienen (vgl BSG vom 16.7.2014 - B 3 KR 2/13 R = SozR 4-2500 § 37 Nr 12).
Nachgehend
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Hildesheim vom 9. Januar 2017 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat der Klägerin auch die Kosten im Berufungsverfahren zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt die Freistellung von ärztlich verordneten Leistungen für häusliche Krankenpflege (HKP) in Form des Anlegens eines Stützkorsetts im Zeitraum vom 25. November 2014 bis 31. Januar 2015.
Die inzwischen 87-jährige Klägerin (geboren 1930) ist bei der Beklagten gesetzlich krankenversichert. Sie lebt allein in einer Wohnung und wird von den verschiedenen Fachärzten eines medizinischen Versorgungszentrums (MVZ) in Y. vertragsärztlich betreut. Die Klägerin ist in Pflegestufe 1 eingestuft (seit 1. Januar 2017 in Pflegegrad 2) und erhält als Pflegeleistung in diesem Rahmen 1mal wöchentlich eine sogenannte große Pflege durch einen ambulanten Pflegedienst. Aufgrund der beanspruchten Kombinationsleistung steht ihr unter Abzug der Sachleistung Pflegegeld für die Beauftragung Dritter zB für die Übernahme von Einkäufen oder hauswirtschaftlichen Verrichtungen zur Verfügung. Darüber hinaus ist der Klägerin das tägliche An- und Ausziehen der Kompressionsstrümpfe der Kompressionsklasse II verordnet worden; diese Leistungen hat die Beklagte auch durchgehend bewilligt.
Die Klägerin leidet an den Folgen eines Kleinhirninfarktes, Ödemen, einer Kraftminderung der Hände, an einer Skoliose mit Wirbelkörperveränderungen und einer progedienten Osteoporose mit Frakturgefahr sowie einem Dauerschwindel. Darüber hinaus liegt bei der Klägerin eine Coxarthrose, eine Gonarthrose links sowie einer Arthrose des linken Handgelenks vor. Es erfolgte die Verordnung eines Stützkorsetts, dessen medizinische Notwendigkeit zwischen den Beteiligten unstreitig ist. Eine Kostenübernahme für die Anschaffung des Stützkorsetts ist durch die Beklagte erfolgt.
Mit Erstverordnung vom 25. November 2014 verordnete Dr I., Facharzt für Innere Medizin und Hausärztliche Versorgung, häusliche Krankenpflege statt Krankenhausbehandlung für die Zeit vom 25. November bis 9. Dezember 2014 in Form eines 1mal täglichen An- und Ausziehens des Stützkorsetts. Die Verordnung ging bei der Beklagten ausweislich des Eingangsstempels am 2. Dezember 2014 ein. Mit Bescheid vom 18. Dezember 2014 lehnte die Beklagte eine Kostenübernahme ab. Mit ihrem Widerspruch machte die Klägerin geltend, dass sie stark sehbehindert sei, was das Anlegen des Stützkorsetts zusätzlich erschwere. Daher habe sie Anspruch auf eine Leistungsbewilligung im Rahmen der Behandlungspflege. Die Krankenkasse sei gehindert, in das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patienten einzugreifen. Das Stützkorsett sei zur Sicherung des Ziels der ärztlichen Behandlung erforderlich. Selbst wenn das Anlegen des Stützkorsetts im Leistungsverzeichnis der Verordnung von ...