Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Krankenhausvergütung. Organtransplantation aufgrund falscher an Eurotransplant übermittelter Daten. unveränderte Erforderlichkeit der Krankenhausbehandlung
Leitsatz (amtlich)
Medizinische Leistungen waren von der Krankenkasse auch zu vergüten, obwohl falsche Daten an die Vergabestelle für Organtransplantationen (Eurotransplant) übermittelt worden waren. Die Falschangaben bezogen sich lediglich auf das Ausmaß der Dringlichkeit und nicht auf das Erfordernis der Transplantation als solche, die im Einzelfall medizinisch erforderlich war und nach den Regeln der ärztlichen Kunst erbracht wurde.
Nachgehend
Tenor
Das Urteil des Sozialgerichts Hildesheim vom 21. Oktober 2019 wird aufgehoben.
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens trägt die Klägerin.
Die Revision wird zugelassen.
Der Streitwert wird auf 157.159,31 Euro festgesetzt.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Rückforderung der Vergütung der stationären Krankenhausbehandlung zweier Mitglieder der Klägerin im Hause der Beklagten.
Die Beklagte ist Trägerin eines gemäß § 108 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) zugelassenen Krankenhauses. Dort erfolgten im Zeitraum 28. April 2010 bis 28. Mai 2010 bei dem am K. 1955 geborenen L. und im Zeitraum 22. Juni 2011 bis 17. Juli 2011 bei dem am M. 1964 geborenen N. die Transplantationen von Spenderlebern. Beide Patienten waren zu dieser Zeit bei der Klägerin krankenversichert. Die medizinische Indikation zur Transplantation sowie die Durchführung der Eingriffe nach den Regeln der ärztlichen Kunst sind bei beiden Patienten zwischen den Beteiligten nicht streitig.
Für die stationären Aufenthalte stellte die Beklagte gegenüber der Klägerin Rechnungen in Höhe von 108.598,11 Euro (L.) und 48.561,20 Euro (N.), welche die Klägerin zunächst vollständig beglich.
Nach einem anonymen Hinweis im Juli 2011 zu Auffälligkeiten bei Lebertransplantationen im Hause der Beklagten und einer darauffolgenden internen Untersuchung erstattete der Vorstand der Beklagten Strafanzeige gegen den bei ihr von Oktober 2008 bis Ende des Jahres 2011 als leitender Oberarzt für den Bereich der Transplantationschirurgie beschäftigten Dr O.. Im Zuge der staatsanwaltlichen Ermittlungen stellte sich heraus, dass verantwortliche Mitarbeiter der Beklagten falsche Meldungen an die Eurotransplant International Foundation (im Folgenden: Eurotransplant), der zentralen Vermittlungsstelle für Organspenden, vorgenommen hatten, um auf diese Weise die eigenen Patienten auf einem höheren Wartelistenplatz zu positionieren. Im Falle der bei der Klägerin versicherten Patienten P. und Q. waren fehlerhafte Angaben zu vorangegangenen Dialysebehandlungen getätigt worden, indem die Frage danach, ob der Patient zweimal innerhalb einer Woche vor der der Meldung zugrundeliegenden Messung des Serumkreatininwertes eine Nierenersatztherapie erhalten habe, wahrheitswidrig mit „YES“ beantwortet worden war. Dies hatte automatisch dazu geführt, dass die Patienten nach dem für die Erstellung der einheitlichen Warteliste bei Eurotransplant maßgeblichen sogenannten MELD-Score den höchsten Wert erreichten und damit einen höheren Platz auf der Warteliste erhalten hatten. Die auf dieser Warteliste geführten Patienten können an einem sogenannten Matching-Verfahren teilnehmen, in dem computergesteuert Spender- und Empfängerdaten zusammengeführt werden und aus dem sich schließlich im Rahmen der Regelallokation die im Einzelfall - sich auf das einzelne Organ beziehende - Matchliste ergibt.
Der Versicherte P. erreichte aufgrund der fehlerhaften Meldung den höchsten MELD-Score 40, ohne die Falschangabe hätte er 36 betragen. Hiernach konnte er an zwei Matching-Verfahren teilnehmen, bei denen er die Ränge 2 und 4 einnahm. Bei der zweiten Zuweisung wurde das Organ akzeptiert und dem Versicherten am 5. Mai 2010 transplantiert. Ohne die Manipulation hätte der Versicherte bestenfalls auf Rang 7 gestanden.
Der Versicherte Q. erreichte aufgrund der fehlerhaften Meldung ebenfalls den höchsten MELD-Score 40, ohne die Falschangabe hätte er bestenfalls 33 betragen. Am 22. Juni 2011 erhielt der Versicherte unter Einnahme von Rang 5 daraufhin ein Organangebot.
Das gegen Dr R. wegen Verdachts des versuchten Totschlags und Körperverletzung vor dem Landgericht (LG) S. geführte Strafverfahren (6 Ks 4/13) endete mit einem Freispruch, welchen der Bundesgerichtshof (BGH) mit Urteil vom 28. Juni 2017 bestätigte (5 StR 20/16).
Nachdem eine zunächst zwischen den Beteiligten erfolgte außergerichtliche Korrespondenz und eine anschließende Besprechung zum Umgang mit den von der Beklagten bei der Klägerin abgerechneten Behandlungsfällen ohne Ergebnis verlaufen war, hat die Klägerin am 29. Dezember 2014 Klage bei dem Sozialgericht (SG) Hildesheim auf Rückzahlung der geleisteten Vergütung erhoben.
Sie hat vorgetragen, mit der bewusst falschen Antwort auf die Frage nach der Dialyse sei gegen wesentliche formale Bestim...