Entscheidungsstichwort (Thema)
Vertragsärztliche Versorgung. Wirtschaftlichkeitsprüfung. Verordnungsregress bei sog Defekturarzneimitteln (hier: Oxybutynin 0,1 % Grachtenhaus Instillationsset N3 15 ml). Geltung der gesetzlichen Vorgaben der Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit
Leitsatz (amtlich)
1. Auch sog Defekturarzneimittel können im Rahmen der Gesetzlichen Krankenversicherung nur verordnet werden, wenn sie die Gewähr für Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit nach Maßgabe des allgemein anerkannten Standes der medizinischen Erkenntnisse bieten.
2. Dies kann für das Präparat Oxybutynin 0,1 % Grachtenhaus Instillationsset N3 15 ml nicht bejaht werden.
Nachgehend
Tenor
Die Berufungen des Klägers gegen die Urteile des Sozialgerichts Hannover vom 4. März 2015 werden zurückgewiesen.
Der Kläger trägt auch die Kosten des Berufungsverfahrens mit Ausnahme der Kosten der Beigeladenen, die diese selbst tragen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Der Streitwert des früher selbstständigen Verfahrens L 3 KA 31/15 wird auf 6.433 Euro, der des früheren Verfahrens L 3 KA 32/15 auf 887 Euro festgesetzt; der Streitwert des verbundenen Verfahrens L 3 KA 31/15 beträgt 7.320 Euro.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Festsetzung von Regressen wegen der Verordnung von Arzneimitteln in den Quartalen II bis IV/2008 und II/2009.
Der Kläger nimmt als Arzt für Allgemeinmedizin an der vertragsärztlichen Versorgung in F. teil und praktizierte dort im streitbefangenen Zeitraum in Berufsausübungsgemeinschaft (BAG) mit einem weiteren Allgemeinmediziner. Zur Behandlung des bei der Beigeladenen zu 2. versicherten Patienten T. K., der aufgrund einer Querschnittslähmung an einer Störung der Blasenfunktion litt, stellte er in den Quartalen II bis IV/2008 insgesamt elf Verordnungen über das Präparat Oxybutynin 0,1 % Grachtenhaus Instillationsset N3 15 ml zum Preis von insgesamt 10.781,87 Euro (brutto) aus. Hierbei handelte es sich um ein intravesikal appliziertes Anticholinergikum zur Therapie neurogener Blasenentleerungsstörungen, das mit einem Instillationsset in der G. -Apotheke in H. hergestellt wurde. Die Beigeladene zu 2. beantragte am 5. Mai 2010 die Feststellung eines sonstigen Schadens, weil die vorgenommenen Verordnungen unwirtschaftlicher seien als solche, die produktneutral auf der Grundlage des Neuen Rezeptur-Formulariums (NRF) hätten verordnet werden können. Als Schadenssumme machte sie die Differenz zwischen den tatsächlich entstandenen und den Kosten geltend, die bei einer Verordnung als Rezeptur angefallen wären (6.432,58 Euro). Der Kläger wies demgegenüber darauf hin, dass seine Verordnungen auf der Vorgabe des vorbehandelnden Krankenhauses beruht hätten. In der Roten Liste seien Oxybutyninpräparate nur in Form von Tabletten enthalten, die Zubereitung hieraus entspreche jedoch nicht mehr dem heutigen Stand der Entwicklung.
Mit Bescheid vom 27. Januar 2011 setzte die Prüfungsstelle Niedersachsen dem Kläger gegenüber einen Regress iHv 6.432,58 Euro fest. Die Verordnungen von Oxybutynin 0,1 % Grachtenhaus seien mit den geltenden Arzneimittel-Richtlinien nicht vereinbar gewesen. Das Präparat sei als Fertigarzneimittel einzustufen, habe aber noch nicht über die nach dem Arzneimittelgesetz (AMG) erforderliche Zulassung verfügt, sodass es auch im Rahmen der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) nicht verordnungsfähig gewesen sei.
Hiergegen hat der Kläger am 2. März 2011 Klage zum Sozialgericht (SG) Hannover erhoben, mit der er zunächst geltend gemacht hat, bei dem streitbefangenen Präparat handele es sich um ein Rezeptur-Arzneimittel, für das eine Zulassungspflicht nicht bestehe.
Während des Klageverfahrens ist das Vorverfahren nachgeholt worden, das zum Bescheid des Beklagten vom 10. Januar 2013 geführt hat, mit dem der festgesetzte Regress bestätigt worden ist. Das streitbefangene Präparat sei zum Verordnungszeitpunkt mangels Zulassung kein Fertigarzneimittel gewesen. Auch eine Notwendigkeit für die Verordnung als Rezeptur der G. -Apotheke sei nicht ersichtlich. So lägen die erforderlichen Voraussetzungen für eine ausnahmsweise gegebene Verordnungsfähigkeit nach dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 6. Dezember 2005 (Az.: 1 BvR 347/98) nicht vor. Da sich der Prüfantrag lediglich auf die Differenz zwischen den tatsächlich entstandenen Kosten und den fiktiven Kosten erstrecke und der Beschwerdeausschuss hieran gebunden gewesen sei, seien nicht die kompletten Verordnungskosten regressiert worden.
Im Anschluss hieran hat der Kläger im Klageverfahren die Auffassung vertreten, bei den verschriebenen Fertigspritzen-Instillationstests habe es sich um verkehrsfähige Fertigarzneimittel gehandelt, deren arzneimittelrechtliche Zulassungsvoraussetzungen (Wirksamkeit, Unbedenklichkeit, Qualität) von Seiten der Beigeladenen zu 2. nicht angezweifelt worden seien. Jedenfalls lägen die Voraussetzungen des BVerfG-Beschlusses vom 6. Dezember 2005 bzw eines Off-Label-Us...