Entscheidungsstichwort (Thema)
Fremdrentenrecht. Zeiten nach einer abgeschlossenen Vertreibung. Verschleppung aus dem heutigen deutschen Gebiet ins Ausland
Orientierungssatz
1. Die Anwendung der §§ 15 und 16 FRG ist im Wege der Auslegung der Norm nach der Systematik sowie nach dem Sinn und Zweck des Fremdrentenrechts dahingehend zu bestimmen, dass nicht jegliche Versicherungszeiten im Herkunftsgebiet allein mit Rücksicht auf die Vertriebeneneigenschaft, sondern nur diejenigen zugrunde gelegt werden, die vor der Vertreibung zurückgelegt wurden (vgl BSG vom 17.10.2006 - B 5 RJ 21/05 R = SozR 4-5050 § 15 Nr 3).
2. War die Vertreibung bereits abgeschlossen, können die nachfolgenden Zeiten nach den Vorschriften des FRG nicht mehr den nach Bundesrecht zurückgelegten Beitragszeiten gleichgestellt werden (vgl BSG vom 19.3.1976 - 11 RA 62/75 = BSGE 41, 257 = SozR 5050 § 15 Nr 5 sowie vom 17.11.1987 - 4a RJ 73/86 = SozR 5050 § 15 Nr 34).
3. Die gesetzliche Regelung des § 1 BVFG erfasst nur den Verlust eines Wohnsitzes in den ehemals unter fremder Verwaltung stehenden deutschen Ostgebieten oder in den Gebieten außerhalb der Grenzen des Deutschen Reiches nach dem Gebietsstande vom 31.12.1937, nicht jedoch eine Verschleppung aus dem heutigen deutschen Gebiet ins Ausland.
Tenor
Das Urteil des Sozialgerichts Osnabrück vom 13. November 2008 wird aufgehoben.
Die Bescheide der Beklagten vom 10. August 2004 und 26. Januar 2005 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 14. April 2005 werden geändert.
Die Beklagte wird verpflichtet, die dem Kläger seit Februar 2005 gewährte Altersrente unter Berücksichtigung des Zeitraumes vom 1. Januar 1957 bis zum 31. Dezember 1989 als Ersatzzeit neu zu berechnen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen und die Berufung zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers aus beiden Rechtszügen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte bei der Berechnung der Regelaltersrente des Klägers in der UdSSR und in J. zurückgelegte Versicherungszeiten zu berücksichtigen hat.
Der Kläger wurde am 28.01.1940 in K. (L.) geboren. Im Jahre 1944 war er mit seinen Eltern und Geschwistern als deutscher Volkszugehöriger von der Wehrmacht aus der L. in den M. umgesiedelt und sodann mit Urkunde vom 26.08.1944 in das Deutsche Reich eingebürgert worden. Ende 1944/1945 gelangte der Kläger mit seiner Mutter und seinen Geschwistern nach N. bei O. im brandenburgischen Kreis P.
Von seinem dortigen Aufenthaltsort aus verschleppte ihn die Rote Armee zusammen mit seiner Mutter und einem Bruder im Herbst 1945 im Zuge von Repatriierungsmaßnahmen zurück in die UdSSR und stellte ihn vom 12.10.1945 bis zum 26.01.1956 im Gebiet Q. (Russland) unter Sonderkommandanturbewachung . Danach lebte der Kläger weiter in der UdSSR, zuletzt in J. Er war zwischen dem 15.11.1954 und dem 22.08.1996 in verschiedenen Betrieben überwiegend als Kraftfahrer sozialversicherungspflichtig erwerbstätig. Nach eigenen Angaben des Klägers ist er stets gegen seinen Willen in der Sowjetunion festgehalten und an einer Rückkehr nach Deutschland gehindert worden. Ein erster Ausreiseantrag im Jahre 1991 sei erfolglos geblieben. Nachdem ihm vom Bundesverwaltungsamt am 20.02.1997 ein Staatsangehörigenausweis erteilt worden war, reiste er schließlich am 28.06.1997 aus J. aus und am 01.07.1997 in die Bundesrepublik Deutschland ein.
Am 01.03.2001 stellte der Kläger bei der Landesversicherungsanstalt Hannover (LVA), deren Rechtsnachfolgerin die Beklagte ist, einen Antrag auf Erteilung eines Versicherungsverlaufes und einer Rentenauskunft, der am 02.11.2001 beschieden wurde. Hierbei wurde die Anrechnung der in der UdSSR und J. zurückgelehnten Versicherungszeiten abgelehnt, da der Kläger weder als Spätaussiedler noch als Vertriebener anerkannt worden sei und er deshalb nicht zum anspruchsberechtigten Personenkreis des Fremdrentengesetzes (FRG) gehöre. Den dagegen erhobenen Widerspruch wies die LVA mit bestandskräftigem Bescheid vom 25.11.2002 zurück.
Am 06.07.2004 wandte sich der Kläger erneut an die LVA. Diese wertete sein Begehren als Antrag auf Wiederaufgreifen des Verfahrens nach § 44 des Sozialgesetzbuches (SGB) 10. Buch und lehnte ihn mit Bescheid vom 10.08.2004 ab. Der Kläger sei zwar wegen seiner Umsiedlung aus der L. in das Deutsche Reich ausweislich einer nach § 100 Abs. 2 Satz 2 des Bundesvertriebenengesetzes (BVFG) von der Stadt R. ausgestellten Bescheinigung als Vertriebener im Sinne von § 1 dieses Gesetzes anzusehen. Da die Umsiedlung jedoch “im Jahre 1942/1943„ erfolgt sei und ein weiteres Vertreibungsgeschehen danach nicht mehr vorliege, könnten sämtliche im Herkunftsgebiet zurückgelegten Versicherungszeiten von der deutschen Rentenversicherung nicht mehr berücksichtigt werden. Hiergegen legte der Kläger Widerspruch ein.
Auf einen am 22.09.2004 gestellten Antrag gewährte die Beklagte dem Kläger zunächst mit Vorschussbescheid vom 15.12.2004 ab dem 01.02.2005 Regelaltersrente, w...