Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende. Einkommensberücksichtigung. Handelsvertreter. Berücksichtigung von Provisionsvorschüssen
Leitsatz (amtlich)
Provisionsvorschüsse als Einkommen im Sinne des § 11 SGB II.
Orientierungssatz
Die an einen Handelsvertreter ausgezahlten Provisionsvorschüsse, die in der Folgezeit mit den jeweils erzielten Provisionsansprüchen verrechnet werden sollen, sind nicht als Darlehen anzusehen, wenn anders als bei einem Darlehensvertrag keine unbedingte Rückzahlungsverpflichtung, sondern eine Verrechnungsvereinbarung besteht. Die Provisionsvorschüsse stellen daher berücksichtigungsfähiges Einkommen aus selbstständiger Tätigkeit dar.
Normenkette
SGB II § 11 Abs. 1 S. 1, Abs. 2, § 7 Abs. 1 Nr. 3, §§ 9, 41 Abs. 1 S. 4; Alg II-V § 3 Abs. 1 S. 1; Alg II-V § 3 Abs. 1 S. 2; Alg II-V § 3 Abs. 2
Tenor
Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 6. November 2012 aufgehoben.
Die Klage wird abgewiesen.
Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt als Sonderrechtsnachfolgerin ihres am J. 2016 verstorbenen Ehemannes B. die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II) für die Monate Januar bis April 2009. Die Berufung des Beklagten richtet sich gegen das Urteil des Sozialgerichts (SG) Hannover, durch das er zur Leistungsgewährung verurteilt worden ist.
Der verstorbene Ehemann der Klägerin hatte seit Oktober 2006 als (damals) Alleinstehender im laufenden Bezug von SGB II-Leistungen gestanden, da er aus seiner selbständigen Tätigkeit (lt. Gewerbeanmeldung: “Vermittlung von Versicherungen, Bausparverträgen, Finanzdienstleistungen und Finanzierungen„) seinen Lebensunterhalt nicht bzw. nicht vollständig bestreiten konnte (vgl. für den letzten Bewilligungszeitraum von Mai bis Oktober 2008: Bewilligungsbescheid vom 28. April 2008). Er übte seine selbständige Tätigkeit im Versicherungsaußendienst u.a. auf der Grundlage von zwei mit der K. GmbH & Co KG (im Folgenden: L. KG) geschlossenen Verträgen aus, wonach ihm für den Abschluss von Verträgen Provisionen gezahlt wurden. Zunächst übte der Ehemann der Klägerin seine Tätigkeit für die L. KG als freier Handelsvertreter (August 2004 bis August 2007), später als sog. “selbständiger Kooperationspartner„ aus (ab September 2008). Die Geschäftsbeziehung mit der L. KG endete im Herbst 2009. Seine selbständige Tätigkeit stellte der Ehemann der Klägerin zum 1. April 2012 vollständig ein (Rentenbezug ab 1. September 2012).
Am 10. Oktober 2008 beantragte der Ehemann der Klägerin wegen des Ablaufs des letzten Bewilligungszeitraums die Weiterbewilligung der SGB II-Leistungen für die Zeit ab 1. November 2008. Zum Zeitpunkt der Antragstellung wurde dem Ehemann der Klägerin aufgrund seiner Herzerkrankung von der M. Lebensversicherung AG eine befristete private Berufsunfähigkeitsversicherung i.H.v. 1.500,-- € gezahlt (für die Zeit vom 1. August 2008 bis 31. Januar 2009; Auszahlung der letzten Monatsrente am 23. Dezember 2008). Der Beklagte lehnte die Weitergewährung von SGB II-Leistungen für die Zeit ab 1. November 2008 mit der Begründung ab, dass angesichts des monatlichen Renteneinkommens keine Hilfebedürftigkeit mehr bestehe (Bescheid vom 5. November 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. Juni 2009).
Hiergegen hat der verstorbene Ehemann der Klägerin am 8. Juli 2009 beim Sozialgericht (SG) Hannover Klage erhoben und geltend gemacht, dass für die Monate Januar bis April 2009 die Gewährung von SGB II-Leistungen zu Unrecht abgelehnt worden sei. In diesen Monaten sei keine Berufsunfähigkeitsrente mehr gezahlt worden. Aus den Einnahmen aus selbständiger Tätigkeit habe er seinen Lebensunterhalt nicht bestreiten können. Auch wenn die - im Laufe des erstinstanzlichen Verfahrens zur Gerichtsakte gereichten - Betriebswirtschaftlichen Auswertungen (BWA) rein rechnerisch einen Gewinn ausweisen würden, sei tatsächlich kein Einkommen erzielt worden. Bei den Betriebseinnahmen seien nämlich auch die Provisionsvorschüsse der L. KG berücksichtigt worden (November 2018: 1400 €; Februar 2009: 1400 €; März 2009: 5000 €; April 2009: 5000 €). Hierbei habe es sich um zinslose Darlehen gehandelt. Die Vorschüsse seien zum Zeitpunkt der Auszahlung noch überhaupt nicht verdient gewesen. Vielmehr sei in der Folgezeit eine Verrechnung der Vorschüsse mit den jeweils später erzielten Provisionsansprüchen erfolgt. Die L. KG sei zur Zahlung dieser wegen der rechtswidrigen Leistungsablehnung erforderlichen Vorschüsse nur bereit gewesen, weil aufgrund der langjährigen Vertragsbeziehung ein besonderes Vertrauensverhältnis bestanden habe. Es verstoße gegen Treu und Glauben, wenn der Beklagte die nur aufgrund seiner rechtswidrigen Leistungsablehnung notwendig gewordenen Vorschüsse als Einkommen anspruchsmindernd anrechne. Es dürfte in verfassungsrechtlicher Hinsicht mit dem ...