Entscheidungsstichwort (Thema)

Kostenübernahme für die Teilnahme an einer Autismustherapie. keine Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben. keine Geeignetheit zur Erhaltung der Erwerbsfähigkeit. Annexleistung. keine Notwendigkeit wegen einer durch die Berufsausübung bestimmten Bedarfslage. Leistung zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft

 

Leitsatz (amtlich)

Eine Autismustherapie in einem Autismuszentrum ist keine Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben, sondern zur Teilhabe am Leben in der Gesellschaft (jetzt: zur sozialen Teilhabe).

 

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Osnabrück vom 2. Juli 2016 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist die Übernahme von Kosten einer Autismus-Therapie in Form einer ambulanten heilpädagogischen Förderung in einem Autismus-Zentrum ab August 2013 streitig.

Der am E. geborene Kläger leidet an einem Asperger Syndrom (ICD-10: F 84.5) und ist deswegen als schwerbehinderter Mensch mit einem Grad der Behinderung von 100 und den Merkmalen B, H anerkannt. Anders als beim frühkindlichen Autismus ist der atypische Autismus in Form des Asperger-Syndroms dadurch gekennzeichnet, dass in der Regel weder eine Sprachentwicklungsverzögerung noch eine Störung der kognitiven Fähigkeiten vorliegen. Qualitativ beeinträchtigt ist der Bereich der gegenseitigen sozialen Interaktion (wenig Verwendung sozialer Signale, ungemessene Reaktion auf soziale und emotionale Signale, stereotypes Verhaltensmuster, Widerstand bei Veränderung, Angstzustände, Wutausbrüche, Aggressionen bis hin zu Selbstverletzungen).

Der Kläger besuchte die Förderschule und anschließend bis zum 31. Juli 2008 die Hauptschule/Werkrealschule mit Abschluss der mittleren Reife. Nach einem Berufsvorbereitungslehrgang vom 1. September 2008 bis zum 31. Juli 2009 wurde er im Berufsbildungswerk F. in G. vom 3. August 2009 bis zum 7. Juni 2013 zum Fachlageristen ausgebildet. Für beide Maßnahmen übernahm die Beklagte die Teilnahme- und Fahrtkosten; Ausbildungsgeld wurde im Hinblick auf die Einkommensverhältnisse der Eltern nicht gewährt. Ab 8. Juni 2013 bezog der Kläger Arbeitslosengeld. Vom 16. September 2013 bis zum 31. Dezember 2013 arbeitete er als Kommissionierer bei der Firma H. GmbH, I. mit einem Monatsgehalt von 1.750 Euro brutto. Das Arbeitsverhältnis wurde vom Kläger aufgegeben, weil er sich den dortigen Anforderungen nicht gewachsen fühlte. Ab 1. Januar 2013 bezog der Kläger wieder Arbeitslosengeld, nahm vom 10. November 2014 bis zum 7. Dezember 2014 an einer Maßnahme zur Aktivierung und beruflichen Eingliederung bei einem Arbeitgeber gemäß § 45 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III) teil und stand anschließend wieder im Bezug von Arbeitslosengeld. Vom 2. Mai 2016 bis zum 31. August 2017 förderte die Beklagte durch Eingliederungsleistung die Teilnahme des Klägers an einer unterstützten Beschäftigung gemäß § 38a Sozialgesetzbuch Neuntes Buch in der bis zum 31. Dezember 2017 gültigen Fassung - SGB IX a. F. - (ab 2018: § 55 SGB IX) beim Bildungswerk der Niedersächsischen Wirtschaft. Nachdem der Kläger auch hier überfordert war, besucht er ab September 2017 die Werkstatt für Behinderte beim F. Werk G.. Der Kläger verfügt nach eigenen Angaben über ein Vermögen (Kontoguthaben) von 10.000 Euro.

Seit seinem 7. Lebensjahr nimmt der Kläger an einer Autismus-Therapie beim Autismus-Therapie-Zentrum J. im Umfang vom 2 Stunden wöchentlich teil. Die Kosten hierfür hatte fortlaufend der Beigeladene zu 1) gemäß §§ 41, 35a Sozialgesetzbuch Achtes Buch - Kinder- und Jugendhilfe - (SGB VIII) übernommen. Mit Bescheid vom 5. Juli 2013 stellte der Beigeladene zu 1) die Leistungsgewährung mit Wirkung vom 1. August 2013 ein, weil der Kläger bereits am 29. Oktober 2011 das 21. Lebensjahr vollendet habe.

Am 23. Mai 2013 beantragte der Kläger beim Beigeladenen zu 1) die Übernahme der Kosten für die Autismus-Behandlung als Eingliederungshilfe gemäß §§ 53, 54 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII). Er legte einen Entwicklungsbericht des Autismus-Zentrums J. vom 7. Mai 2013 vor, der die Weiterführung der autismusspezifischen Therapie im bisherigen Therapieumfang von zehn Stunden monatlich als erforderlich befürwortete. Mit Schreiben vom 29. Mai 2013 leitete der Beigeladene zu 1) den Antrag gemäß § 14 SGB IX zuständigkeitshalber an die Agentur für Arbeit K. weiter. Mit Bescheid vom 3. Juni 2013 und Widerspruchsbescheid vom 3. Dezember 2013 lehnte die Beklagte die Kostenübernahme einer Autismus-Therapie ab, weil psychologische und pädagogische Hilfen nach § 33 Abs. 6 SGB IX a. F. nur gewährt werden könnten, wenn diese integrativer Bestandteil einer Maßnahme seien. Dies treffe auf den Kläger nicht zu. Er habe bis zum 7. Juni 2013 erfolgreich eine Berufsausbildung absolviert und befinde sich seit dem 16. September 2013 in einem Arbeitsverhältnis. Eine Integration in den allgemeinen Arbeitsmarkt sei somit erfolgreich gelungen. Leistungen zur Tei...

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