Entscheidungsstichwort (Thema)
bedarfsorientierte Grundsicherung. Einkommenseinsatz. Anrechnung des Kindergeldes. volljähriges behindertes Kind
Orientierungssatz
1. Das an die Eltern ausgezahlte Kindergeld eines in häuslicher Gemeinschaft lebenden volljährigen behinderten Kindes ist nicht auf die Leistungen nach dem GSiG anzurechnen.
2. Die Verpflichtung auf Stellung eines Antrags nach § 74 Abs 1 S 1 EStG im Rahmen der Selbsthilfe (§ 2 Abs 1 S 1 GSiG) kann allenfalls dann bestehen, wenn der Abzweigungsanspruch so evident ist, dass auch bei der Entscheidung der Familienkasse eine Ermessensreduzierung auf Null gegeben wäre.
Nachgehend
Tenor
Die Berufung des Beklagten gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Hannover vom 12. Oktober 2005 wird zurückgewiesen.
Der Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten der Klägerin für den gesamten Rechtsstreit zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt von dem Beklagten höhere Leistungen nach dem Grundsicherungsgesetz und zwar eine Leistungsgewährung ohne Anrechnung des an die Mutter der Klägerin gezahlten Kindergeldes in Höhe von 154,00 € monatlich.
Die am 27. Dezember 1982 geborene Klägerin ist dauerhaft erwerbsunfähig und lebt im Einfamilienhaus ihrer Eltern, die gleichzeitig ihre Betreuer sind.
Zwischen der Klägerin und ihrem Vater, der Eigentümer des bewohnten Eigenheimes ist, besteht ein zum 1. Januar 2003 wirksamer Mietvertrag, wonach die Klägerin für die von ihr im Eigenheim genutzten Räume einen Mietzins in Höhe von monatlich 160,00 € zu entrichten hat. Die Mutter der Klägerin erhält für diese Kindergeld in Höhe von 154,00 € monatlich.
Ausweislich des Schwerbehindertenausweises ist bei der Klägerin ein Grad der Behinderung in Höhe von 100 festgestellt sowie die Merkzeichen “G„, “aG„, “H„ und “RF„ zuerkannt. Sie erhält von der Pflegeversicherung Leistungen der Pflegestufe III.
Der Beklagte gewährte der Klägerin seit dem 1. Januar 2003 Leistungen nach dem Gesetz über die bedarfsorientierte Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung (GSiG). Sowohl im Erstantrag vom 8. Januar 2003 als auch im Folgeantrag vom 13. Mai 2004 gaben die Betreuer der Klägerin an, Unterhaltsleistungen nicht zu erbringen.
Mit Bescheid vom 30. Juni 2004 gewährte der Beklagte der Klägerin ua Grundsicherungsleistungen für die Zeit vom 1. Juli 2004 bis 31. Dezember 2004 in Höhe von monatlich 147,11 €. Dabei setzte der Beklagte in der Bedarfsberechnung Kindergeld in Höhe von 154,00 € als Einkommen der Klägerin an. Dagegen legte die Klägerin Widerspruch ein, der, soweit die Höhe der Leistungen für die hier streitige Zeit betroffen ist, mit Widerspruchsbescheid des Beklagten vom 16. Februar 2005 als unbegründet zurückgewiesen wurde. Da die Eltern ihrer Unterhaltsverpflichtung nicht nachkämen, habe die Klägerin einen Anspruch nach § 74 Abs 1 Satz 1 Einkommenssteuergesetz (EStG) auf Abzweigung des Kindergeldes an sich selbst. Die Klägerin könne sich somit mit einem entsprechenden Abzweigungsantrag selbst behelfen und das gesetzliche Kindergeld erlangen, weshalb das Kindergeld anspruchsmindernd zu berücksichtigen sei.
Die Klägerin hat am 16. März 2005 Klage beim Verwaltungsgericht (VG) Hannover erhoben. Sie trägt ua vor, dass nicht sie kindergeldberechtigt sei, sondern ihre Eltern. Das Kindergeld werde ihr nicht zugewendet, wozu ihre Eltern auch nicht verpflichtet seien. Die Voraussetzungen für eine Abzweigung des Kindergeldes nach § 74 EStG lägen nicht vor, da ihre Eltern Unterhaltsleistungen in Form eines erheblichen Betreuungs- und Pflegeaufwandes erbrächten, die nicht durch die Leistungen der Pflegeversicherung abgedeckt seien. Überdies habe der Beklagte eine gemeinsame Haushaltsführung anerkannt. Die Unterhaltsleistungen der Eltern können nicht als ihr Einkommen angesehen werden, da es sich nicht um Barunterhalt handele.
Der Rechtsstreit ist durch Beschluss des VG Hannover vom 24. März 2005, bestätigt durch Beschluss des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 8. Juni 2005 an das zuständige Sozialgericht (SG) Hannover verwiesen worden.
Mit Gerichtsbescheid vom 12. Oktober 2005 hat das SG den angefochtenen Bescheid aufgehoben und den Beklagten verurteilt, der Klägerin für die Zeit vom 1. Juli bis 31. Dezember 2004 monatlich weitere Leistungen nach dem Grundsicherungsgesetz in Höhe von 154,00 € zu bewilligen. Zur Begründung der Entscheidung hat das SG auf eine Entscheidung des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 30. September 2004 (- 12 LC 144/04 -) Bezug genommen und ausgeführt, dass die Anrechnung des Auszahlungsanspruchs nach § 74 Abs 1 EStG als Einkommen der Klägerin zu einer Ungleichbehandlung zwischen schwerstbehinderten Volljährigen, die im Familienhaushalt gepflegt werden und solchen, die in Heimen untergebracht sind, führen würde. Weiterhin sei nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) das Kindergeld dem Kindergeldberechtigten zuzurechnen. Hinzu käme, dass die Rec...