Entscheidungsstichwort (Thema)

Asylbewerberleistung. Sozialhilfe nach längerer Aufenthaltsdauer. rechtsmissbräuchliche Beeinflussung der Aufenthaltsdauer

 

Orientierungssatz

1. Aus Wortlaut und Zweck der Regelung des § 2 Abs 1 AsylbLG ist zu schließen, dass es für die Beurteilung der rechtsmissbräuchlichen Beeinflussung der Dauer des Aufenthalts auf die gesamte Dauer des Aufenthalts des Ausländers im Bundesgebiet ankommt und nicht etwa nur auf die Dauer des Aufenthalts nach der rechtskräftigen Ablehnung des Asylantrags.

2. Ob ein Verhalten eines Ausländers als rechtsmissbräuchliche Beeinflussung der Dauer des Aufenthalts zu werten ist, ist unter Berücksichtigung des Zwecks der Regelung zu entscheiden. Weil die Regelung nach dem offenkundigen Willen des Gesetzgebers die Regelung des Art 16 EGRL 9/2003 umsetzen soll, ist diese zur Auslegung des § 2 Abs 1 AsylbLG heranzuziehen. Weitere Auslegungskriterien für die Entscheidung der Frage rechtsmissbräuchlichen Verhaltens sind unter rechtssystematischen Gesichtspunkten zudem der Regelung des § 1a AsylbLG zu entnehmen.

3. Allein die Nutzung der Rechtsposition der Duldung kann ein rechtsmissbräuchliches Verhalten nicht begründen, wenn die Dauer des Aufenthalts nicht auf rechtlich oder tatsächlich zu beanstandendem Verhalten des Ausländers beruht.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über einen Anspruch des Klägers auf Leistungen nach § 2 Abs. 1 Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) mit Wirkung ab 1. Februar bis 3. August 2005.

Der im Jahr 1961 in B (ehemals Jugoslawien) geborene Kläger gehört der Volksgruppe der Roma an. Er besitzt die serbisch-montenegrinische Staatsangehörigkeit. Der Kläger reiste nach eigenen Angaben am 16. Mai 1992 aus T/Montenegro in das Bundesgebiet ein und hielt sich zunächst bei seiner Schwester in H auf. Von dieser wurde er auch unterhalten. Seine Mutter lebt in S. Zwei weitere Schwestern leben ebenso wie ein Bruder in W.

Seit seiner Einreise in das Bundesgebiet wird sein Aufenthalt ausländerrechtlich geduldet. Eine für den 26. April 2000 geplante Abschiebung wurde gestoppt, weil UMNIK die Rücknahme des Klägers verweigerte. Unter dem 17. Oktober 2002 und 22. Dezember 2003 wurde die Abschiebung des Klägers angedroht.

Einen Asylantrag des Klägers vom 26. Februar 2004 lehnte zunächst das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge durch Bescheid vom 29. April 2004 ab. Außerdem stellte das Bundesamt fest, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 Ausländergesetz (AuslG) sowie Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG nicht vorlägen. Das Verwaltungsgericht (VG) Minden bestätigte diese Entscheidung unter dem 13. Januar 2005. Die Entscheidung ist seit dem 17. Februar 2005 rechtskräftig. Anlässlich einer Vorsprache am 3. August 2005 bei der Beklagten erklärte der Kläger, dass er nach dem negativen Abschluss seines Asylverfahrens bereit sei, freiwillig in sein Heimatland auszureisen. Dies solle auf dem Luftwege geschehen. Die Kosten für die Ausreise könne er allerdings nicht aus eigenen Mitteln bezahlen. Daraufhin wurde er von der Beklagten darauf hingewiesen, innerhalb des nächsten Monats einen gültigen Nationalpass oder ein Passersatzpapier und ein Flugticket für seine Ausreise vorzulegen, um auf diese Weise seine Ausreiseabsicht zu dokumentieren. Dies geschah indes nicht.

Ab 1996 bezieht der Kläger Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz, zuletzt nach § 2 AsylbLG. Durch Bescheid vom 1. April 2005 bewilligte die zuständige Stadt S mit Wirkung ab 1. Februar 2005 und durch Bescheid vom 18. April 2005 mit Wirkung ab 1. Mai 2005 Leistungen nach §§ 3 ff AsylbLG.

Den Widerspruch des Klägers vom 5. April 2005 hiergegen wies die Beklagte durch Widerspruchsbescheid vom 3. August 2005 als unbegründet zurück.

Hiergegen hat der Kläger am 18. August 2005 Klage erhoben. Er habe Anspruch auf Leistungen nach § 2 Abs. 1 Satz 1 AsylbLG, weil er als Roma aus dem Kosovo weder zwangsweise zurückgeführt werden könne, noch ihm die freiwillige Ausreise zumutbar sei.

Durch Gerichtsbescheid vom 13. Oktober 2005 hat das Sozialgericht (SG) Hannover den angefochtenen Bescheid aufgehoben und die Beklagte verpflichtet, dem Kläger mit Wirkung ab 1. Februar bis 3. August 2005 Leistungen nach § 2 Abs. 1 AsylbLG in entsprechender Anwendung des Sozialgesetzbuchs Zwölftes Buch (SGB XII) zu bewilligen. Der Kläger habe die Dauer seines Aufenthalts nicht rechtsmissbräuchlich beeinflusst, weil Roma aus dem Kosovo, zu denen der Kläger gehöre, nach wie vor nicht zwangsweise in ihre Heimat zurückgeführt werden könnten. Diese Möglichkeit bestehe unter anderem nur für solche Roma, die zu einer Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren oder mehreren Freiheitsstrafen von insgesamt mindestens zwei Jahren verurteilt und nicht schutzbedürftig seien. Hierzu gehöre der Kläger indes nicht.

Gegen den am 17. Oktober 2005 zugestellten Gerichtsbescheid führt die Beklagte am 26. Oktober 2005 Berufung. Der Kläger habe seinen Aufenthalt im Bundesgebiet rechtsmissbräuchlich verlängert, weil er in d...

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