Entscheidungsstichwort (Thema)

Arbeitslosengeld II. Abzweigung bei Verletzung der Unterhaltspflicht. Vorliegen eines Unterhaltstitels. Ermessensausübung. Pfändungsschutz. Erwerbstätigenfreibetrag nach § 11b Abs 3 SGB 2

 

Leitsatz (amtlich)

1. Das einem Unterhaltsschuldner bewilligte Arbeitslosengeld II ist als soziokulturelles Existenzminimum auch bei einer Erwerbstätigkeit der Auszahlung an Unterhaltsgläubiger entzogen.

2. Eine Abzweigung kommt auch nicht in Höhe des Freibetrages, der bei der Leitungsberechnung von einem zu berücksichtigenden Einkommen abzusetzen ist, in Betracht.

 

Normenkette

SGB I § 48 Abs. 1 S. 1; SGB II § 11b Abs. 3, §§ 20, 22; BSHG § 76 Abs. 2, 2a

 

Tenor

Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 27. Juni 2013 aufgehoben.

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Der Streitwert wird auf 500 € festgesetzt.

 

Tatbestand

Die Klägerin begehrt eine Abzweigung von dem dem Beigeladenen in den Monaten August 2010 bis Mai 2011 bewilligten Arbeitslosengeldes (Alg) II.

Der am geborene Beigeladene ist der Vater der am ... geborenen Klägerin und dieser gegenüber aufgrund des Unterhaltsfestsetzungsbeschlusses des Amtsgerichts - Familiengerichts - Hannover vom 4. April 2007 verpflichtet, für die Zeit ab 1. April 2007 monatlich 50 € Unterhalt zu zahlen. Darüber hinaus bestehen Unterhaltsverpflichtungen in dieser Höhe gegenüber weiteren Kindern.

Der Beigeladene bezieht seit dem Jahr 2005 vom Beklagten Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch (SGB) Zweites Buch ( II) - Grundsicherung für Arbeitsuchende -. Mit Bescheid vom 28. Januar 2010 bewilligte dieser für die Zeit vom 1. März bis 31. August 2010 Alg II in Höhe von insgesamt 674,13 €. Im Monat Juli 2010 beantragte der Fachbereich Jugend und Familie der Landeshauptstadt Hannover als gesetzlicher Vertreter der Klägerin, von den laufenden Leistungen des Beigeladenen einen angemessenen Teil für diese abzuzweigen, weil der Beigeladene keinen Unterhalt zahle. Bereits im Jahr 2005 hatte die Mutter der Klägerin eine Beistandschaft des Fachbereichs zur Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen beantragt. Der Fachbereich beanspruchte für den Fall, dass der Beigeladene sowohl Leistungen nach dem SGB II als auch Erwerbseinkommen beziehe, die Differenz zwischen dem zu belassenen Existenzminimum iS des § 850d Abs 1 Zivilprozessordnung (ZPO) und dem gesamten Einkommen bestehend aus den SGB II-Leistungen und dem Arbeitseinkommen. Zum 1. August 2010 nahm der Beigeladene eine versicherungspflichtige Tätigkeit als Küchenhilfe zu einem Bruttoarbeitsentgelt in Höhe von 700 € monatlich, zahlbar zum 15. des Folgemonats, auf. Mit Bescheiden vom 11. August und 5. November 2010 bewilligte der Beklagte dem Beigeladenen für die Zeit vom 1. September bis 30. November 2010 und vom 1. Dezember 2010 bis 31. Mai 2011 Leistungen (für Unterkunft und Heizung) in Höhe von 289 €. Er legte ein Nettoerwerbseinkommen in Höhe von 580 € zugrunde und berücksichtigte einen Freibetrag in Höhe von insgesamt 220 €. Mit Bescheiden vom 3. März 2011 erhöhte der Beklagte die Leistungen für die Monate September bis Dezember 2010 unter Berücksichtigung des tatsächlichen Nettoerwerbseinkommens in Höhe von monatlich 566,29 € auf monatlich 302,71 €. Für die Monate April und Mai 2011 minderte er wegen Verletzung von Pflichten aus einer Eingliederungsvereinbarung die Leistung auf 181,30 €. In den Monaten November und Dezember 2010 zahlte der Beigeladene an den Fachbereich jeweils 100 € Unterhalt (Mitteilung vom 28. Dezember 2010). Den Antrag auf Abzweigung lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 31. Januar 2011 ab, weil kein Zuschlag nach § 24 SGB II gezahlt werde und weil die aufgrund der Erwerbstätigkeit gewährten Freibeträge zur Deckung von Kosten, die im Zusammenhang mit dieser stünden, gewährt würden. Dagegen erhob der Fachbereich Widerspruch mit der Begründung, nach neuester höchstrichterlicher Rechtsprechung komme es darauf an, dass dem Schuldner das Existenzminimum verbleibe, das sich üblicherweise aus der Regelleistung und den Kosten der Unterkunft zusammensetze. Deshalb sei eine Abzweigung vorzunehmen. Der Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 26. Juli 2011 zurück: Soweit die Abzweigung der Freibeträge geltend gemacht werde, seien bereits die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 48 Abs 1 Satz 1 SGB Erstes Buch (I) - Allgemeiner Teil - nicht erfüllt. Danach könnten an Kinder des Leistungsberechtigten nur laufende Geldleistungen, die der Sicherung des Lebensunterhaltes zu dienen bestimmt seien, in angemessener Höhe ausgezahlt werden. Bei den im Rahmen der Bedarfsberechnung berücksichtigten Freibeträgen handele es sich jedoch gerade nicht um laufende Geldleistungen. Um laufende Geldleistungen handele es sich lediglich bei dem Alg II-Anspruch nach § 19 SGB II sowie dem (früheren) Anspruch auf den befristeten Zuschlag nach dem Bezug von Alg in § 24 SGB II aF. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts...

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