Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Krebsbehandlung. Beratungspflicht der Krankenkasse über Behandlungsmöglichkeiten. sozialrechtlicher Herstellungsanspruch bei Unterlassen der Beratung
Leitsatz (amtlich)
Beantragt eine Versicherte bei ihrer gesetzlichen Krankenkasse die Kosten einer Behandlung (hier: Kosten der stereotaktischen Konvergenzbestrahlung bei Hirnmetastasen) durch einen nicht zugelassenen Arzt und ist nach dem Krankheitsverlauf davon auszugehen, dass eine weitere Behandlung erforderlich werden kann, trifft die Krankenkasse eine Beratungspflicht. Sie muss der Versicherten mitteilen, bei welchem Vertragsarzt bzw. in welchem Krankenhaus die Methode zu Lasten der Krankenkasse erbracht wird. Unterlässt die Krankenkasse die Beratung, verletzt sie ihre Pflichten mit der Folge eines Herstellungsanspruches der Versicherten.
Nachgehend
Tenor
Das Urteil des Sozialgerichts Braunschweig vom 1. März 2005 sowie der Bescheid der Beklagten vom 18. Dezember 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. April 2002 werden aufgehoben.
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 2.044,63 € zu zahlen.
Die Beklagte trägt die Hälfte der notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin aus beiden Rechtszügen.
Tatbestand
Der Rechtsstreit betrifft im Berufungsverfahren jetzt noch die Erstattung von Kosten für eine im Dezember 2001 durchgeführte stereotaktische Konvergenzbestrahlung.
Die im August 1961 geborene Klägerin erkrankte 1994 an einem Mamma-Carcinom. Im Jahre 1999 wurde ein Thoraxwandrezidiv links bei der Klägerin festgestellt. Im Mai 2000 erlitt die Klägerin einen Krampfanfall. In diesem Zusammenhang wurde im Gehirn der Klägerin eine Metastase festgestellt, die noch im Mai 2000 operativ entfernt wurde. Im April 2001 zeigten sich bei der Klägerin leichte Lähmungserscheinungen im Bereich des linken Beines. Nachfolgend wurde eine operative Entfernung einer weiteren Hirnmetastase erforderlich.
Bereits im August 2001 wurde wiederum eine Hirnmetastase gefunden. Die die Klägerin behandelnden Ärzte der Asklepios-Kliniken Sch. hielten eine stereotaktische Konvergenzbestrahlung, die bisher noch nicht erfolgt sei, für nunmehr dringend indiziert. Man empfahl, die Behandlung in der Praxis des Radiologen und Strahlentherapeuten C. in Hannover auszuführen.
Die Klägerin ließ die Bestrahlungen durch den Radiologen und Strahlentherapeuten C. im August 2001 ausführen und beantragte mit Schreiben vom 26. Oktober 2001 bei der Beklagten die Übernahme der entstandenen und von ihr noch nicht bezahlten Kosten in Höhe von 4.003,53 DM. Die Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 1. November 2001 mit dem Hinweis darauf ab, dass die durchgeführte Behandlung nicht zu den Leistungen gehöre, die von der gesetzlichen Krankenversicherung zur Verfügung zu stellen sei. Auf den Widerspruch der Klägerin holte die Beklagte eine Stellungnahme des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung Niedersachsen (MDKN) vom 4. Dezember 2001 ein. In der Stellungnahme hieß es kurz, die Beschleunigerbestrahlung sei medizinisch notwendig, es gebe keine Behandlungsalternative, und es bestehe in Bezug auf die Behandlung keine Unaufschiebbarkeit. Der Radiologe C. erklärte in Bezug auf seine Rechnung vom 25. Oktober 2001 im Erörterungstermin vor der Berichterstatterin am 27. September 2006, dass er auf die Bezahlung dieser Rechnung verzichte.
Am 19. November 2001 wurde anlässlich einer Magnet-Resonanz-Tomographie(MRT)-Untersuchung der Klägerin eine neue Hirn-Metastase festgestellt. Der Radiologe C. führte am 17. Dezember 2001 wiederum eine stereotaktische Bestrahlung der Metastase durch und stellte dafür einen Betrag von 3.998,94 DM (= 2.044,63 €) in Rechnung, den die Klägerin an den Behandler zahlte.
Nachdem die Beklagte zwischenzeitlich mit Bescheid vom 18. Dezember 2001 erneut die Übernahme der Kosten für die im August 2001 durchgeführte Strahlen-Behandlung abgelehnt hatte, beantragte die Klägerin neben ihrem Widerspruch gegen den Bescheid vom 18. Dezember 2001 die Erstattung der Kosten für die Strahlenbehandlung am 17. Dezember 2001 (Antrag vom 22. Februar 2002).
Die Beklagte wies den Widerspruch der Klägerin mit Bescheid vom 10. April 2002 zurück und lehnte auch die Erstattung der Kosten der Strahlenbehandlung im Dezember 2001 ab. Zur Begründung erläuterte sie, dass die Übernahme bzw. Erstattung von Kosten bereits deshalb nicht in Betracht käme, weil die Klägerin die Behandlungen jeweils habe ausführen lassen, ohne eine Entscheidung der Krankenkasse abzuwarten. Im übrigen müsse darauf hingewiesen werden, dass es sich bei der ausgeführten Behandlung nicht um eine Vertragsleistung handele. Der für die Bewertung der Leistungen zuständige Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen (BA) habe in Bezug auf diese Behandlungsmethode noch keine Entscheidung getroffen. Daher bestehe aus leistungsrechtlichen Gründen kein Kostenübernahme- oder Kostenerstattungsanspruch für die Klägerin, ebenso we...