Entscheidungsstichwort (Thema)
Schwerbehindertenrecht. Befristung der Gültigkeitsdauer eines Schwerbehindertenausweises. sozialgerichtliches Verfahren. Anfechtungsklage. Schwerbehindertenausweis kein Verwaltungsakt. Ankündigung der Nachuntersuchung kein Verwaltungsakt. allgemeine Feststellungsklage. kein Rechtsschutzbedürfnis für die Feststellung der Entbehrlichkeit der Befristung. grundsätzlicher Vorbehalt der Nachprüfung bei Änderung der Verhältnisse. Klage gegen Befristung von Feststellungen im Schwerbehindertenrecht. Bedeutung der Entscheidung des erstinstanzlichen Gerichts durch einen falschen Spruchkörper
Leitsatz (redaktionell)
1. Der Schwerbehindertenausweis ist mangels Regelung kein Verwaltungsakt. Gegen eine darin enthaltene Befristung kann deshalb nicht geklagt werden.
2. Im Schwerbehinderungsrecht kann gegen einen unbefristeten Bescheid nicht auf Feststellung geklagt werden, dass der Bescheid weiterhin zutreffend und eine Nachuntersuchung entbehrlich ist.
3. Falls am Sozialgericht ein falscher Spruchkörper entschieden hat, rechtfertigt das allein keine Zurückverweisung des Rechtsstreits durch das Berufungsgericht.
Orientierungssatz
1. Der Schwerbehindertenausweis stellt mangels Regelung keinen Verwaltungsakt im Sinne des § 31 SGB 10 dar. Vielmehr weist er gemäß § 69 Abs 5 S 2 SGB 9 lediglich als öffentliche Urkunde die gesondert im Ausgangsbescheid getroffene Feststellung der Schwerbehinderung gegenüber Dritten nach (vgl BSG vom 11.8.2015 - B 9 SB 2/15 R = SozR 4-1300 § 48 Nr 31).
2. Bei der Befristung der Gültigkeitsdauer eines Schwerbehindertenausweises handelt es sich demzufolge grundsätzlich nicht um eine Nebenbestimmung zu einem Verwaltungsakt im Sinne des § 32 Abs 1 SGB 10.
3. Auch die bloße Ankündigung der Nachuntersuchung in einem Ausführungsbescheid ist mangels Regelung kein Verwaltungsakt im Sinne des § 31 SGB 10, sondern lediglich die Mitteilung einer beabsichtigten Maßnahme.
4. Soweit der Kläger allgemein die Feststellung der Entbehrlichkeit der Befristung seines Schwerbehindertenausweises sowie einer Nachuntersuchung begehrt, steht der Zulässigkeit dieser Feststellungsklage zum einen die Subsidiarität gegenüber der (allerdings erst später möglichen) Anfechtungsklage und zum anderen das Fehlen eines besonderen Feststellungsinteresses entgegen.
5. Die Ausstellung des Schwerbehindertenausweises sowie die zugrundeliegende Feststellung der Schwerbehinderung steht grundsätzlich von Anfang an unter dem Vorbehalt der Nachprüfung bei Änderung der Verhältnisse (vgl BSG vom 11.8.2015 - B 9 SB 2/15 R aaO).
Normenkette
SchwbAwV § 6 Abs. 2; SGB IX § 69 Abs. 5 S. 2; SGB X §§ 31, 32 Abs. 1; SGG § 55 Abs. 1 Nr. 1, §§ 98, 159 Abs. 1 Nr. 2, § 202 S. 1
Nachgehend
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Lüneburg vom 19. Juni 2015 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Streitig sind die Befristung der Geltungsdauer des Schwerbehindertenausweises des Klägers sowie die Ankündigung einer Nachuntersuchung durch den Beklagten.
Der 1943 geborene Kläger beantragte im Juni 2009 bei dem Beklagten, seinen bisherigen Grad der Behinderung (GdB) von 80 auf nunmehr 100 festzusetzen sowie ihm das Merkzeichen “G„ zuzuerkennen. In dem gegen die ablehnende Entscheidung des Beklagten vor dem Sozialgericht Lüneburg (SG) unter dem Aktenzeichen S 15 SB 76/10 geführten Klageverfahren holte das Gericht ein Gutachten des Facharztes für Innere Medizin Dr. I. ein. Dieser gelangte in seinem Gutachten vom 10. September 2012 im Wesentlichen zu dem Ergebnis, dass bei dem Kläger seit dem Jahre 2009 ein GdB von 100 sowie die Voraussetzungen des Merkzeichens “G„ vorlägen. Zur Begründung führte er aus, dass der Kläger an einer phobisch-depressiv neurotischen Persönlichkeitsstörung mit Erschöpfung, Depression und Somatisierung leide, die einen Einzel-GdB von 70 ausmache sowie an einer Funktionseinschränkung der Wirbelsäule, Verschleiß, Osteoporose, Nervenkompressionssyndrom und chronischem Schmerzsyndrom, was einen Einzel-GdB von 50 bedinge. Daraufhin hat der Beklagte ein Anerkenntnis abgegeben und mit Ausführungsbescheid vom 14. November 2012 bei dem Kläger ab Januar 2009 einen GdB von 100 sowie das Merkzeichen “G„ fest. Ferner kündigte der Beklagte in diesem Bescheid eine Nachuntersuchung des Klägers für Oktober 2015 an. Am 4. März 2013 stellte der Beklagte dem Kläger einen bis Oktober 2016 befristeten Schwerbehindertenausweis aus.
Der Kläger beantragte bei dem Beklagten am 8. März 2013 die Ausstellung eines unbefristeten Schwerbehindertenausweises. Diesen Antrag lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 6. Januar 2015 ab. Zur Begründung führte er aus, dass gemäß § 6 Abs. 2 Schwerbehindertenausweisverordnung (SchwbAwV) die Gültigkeit des Ausweises in der Regel für die Dauer von längstens fünf Jahren zu befristen sei. Anhaltspunkte für das Vorliegen eines Ausnahmefalles seien nicht er...