Entscheidungsstichwort (Thema)

Vertragsärztliche Versorgung. Anzeichen für Versorgungsmängel einer bestehenden Dialysepraxis. kein Grund für Genehmigung einer zusätzlichen Dialysepraxis. Drittanfechtungsberechtigung eines Vertragsarztes oder einer Berufsausübungsgemeinschaft

 

Leitsatz (amtlich)

1. Zu den Voraussetzungen der Genehmigung einer Dialysepraxis nach § 6 Abs 3 der Anl 9.1 BMV Ä/EKV.

2. Anzeichen für Versorgungsmängel in einer bestehenden Dialysepraxis rechtfertigen es nicht, eine zusätzliche Dialysepraxis aus Sicherstellungsgründen zu genehmigen.

 

Orientierungssatz

Zur Drittanfechtungsberechtigung eines Vertragsarztes oder einer Berufsausübungsgemeinschaft gegenüber einer Dialysegenehmigung.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 28.10.2015; Aktenzeichen B 6 KA 43/14 R)

 

Tenor

Auf die Berufung der Klägerin werden das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 7. März 2012 und der Bescheid der Beklagten vom 11. März 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 17. Juni 2010 aufgehoben.

Die Beklagte und der Beigeladene zu 1. tragen die Kosten des erst- und zweitinstanzlichen Verfahrens als Gesamtschuldner mit Ausnahme der Kosten der Beigeladenen zu 2. - 7., die diese selbst tragen.

Die Revision wird zugelassen.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 200.000 Euro festgesetzt.

 

Tatbestand

Streitig ist die Rechtmäßigkeit einer Genehmigung zur kontinuierlichen Betreuung von bis zu 30 Dialysepatienten.

Die Klägerin ist eine aus ursprünglich drei Fachärzten für Innere Medizin mit der Schwerpunktbezeichnung Nephrologie bestehende Berufsausübungsgemeinschaft (BAG). Sie betreibt ein Dialysezentrum in J. mit der Genehmigung zur kontinuierlichen Betreuung von (anfangs) bis zu 150 Dialysepatienten.

Der Beigeladene zu 1. war eines der fachärztlichen Mitglieder der BAG. Mit Schreiben vom 30. Dezember 2009 beantragte er zeitgleich beim Zulassungsausschuss und bei der beklagten Kassenärztlichen Vereinigung (KÄV) die Verlegung seines Vertragsarztsitzes innerhalb von J. unter Mitnahme seines anteiligen Auftrags zur Versorgung chronisch niereninsuffizienter Patienten. Die Beklagte stellte daraufhin das erforderliche Einvernehmen mit den Landesverbänden der Krankenkassen her und erteilte dem Beigeladenen zu 1. mit Wirkung zum 1. April 2010 für seine neugegründete Einzelpraxis in J. eine zusätzliche Genehmigung zur kontinuierlichen Betreuung von bis zu 30 Dialysepatienten (im Folgenden: Dialysegenehmigung) nach den §§ 4, 6 Abs 3 der Anl 9.1 Bundesmantelvertrag-Ärzte bzw Ersatzkassenvertrag-Ärzte (BMV-Ä/EKV). Zur Begründung führte sie aus, der Beigeladene habe bisher 37 der knapp über 100 Dialysepatienten der Klägerin betreut. Dadurch sei ein besonderes Vertrauensverhältnis entstanden, sodass für eine kontinuierliche und wohnortnahe Versorgung dieser Patienten aus Sicherstellungsgründen eine zusätzliche Facharztpraxis in J. erforderlich sei (Bescheid vom 11. März 2010). Den von der Klägerin am 15. März 2010 hiergegen eingelegten Widerspruch wies die Beklagte zurück, weil der Klägerin gegenüber der erteilten Dialysegenehmigung keine Anfechtungsberechtigung zustehe (Widerspruchsbescheid vom 17. Juni 2010).

Die Klägerin hat am 19. Juli 2010 Klage beim Sozialgericht (SG) Hannover erhoben und dort geltend gemacht, dass die zum 1. Juli 2009 geänderten bundesmantelvertraglichen Vorgaben für die Erteilung eines Versorgungsauftrags zur Behandlung dialysepflichtiger Patienten Drittschutz vermittelten. Insoweit bestehe - entgegen der Auffassung der Beklagten - eine Anfechtungsberechtigung. Im Übrigen sei die erteilte Dialysegenehmigung rechtswidrig, weil sie zur Sicherstellung einer wohnortnahen Dialyseversorgung nicht erforderlich sei. Insbesondere könne die Erteilung der Genehmigung nicht pauschal mit dem “besonderen Vertrauensverhältnis„ begründet werden, das zwischen Dialysearzt und Patient regelmäßig bestehen soll.

Das SG hat die Klage mit Urteil vom 7. März 2012 abgewiesen. Die Klägerin sei nicht berechtigt, die dem Beigeladenen zu 1. erteilte Dialysegenehmigung anzufechten. Durch die Genehmigung sei vorliegend weder die Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung eröffnet noch in irgendeiner Form erweitert worden. Es handele sich bei der Genehmigung auch nicht um eine statusrelevante Entscheidung, weil sie nicht mit einer Zulassung, einer Ermächtigung oder einer Sonderbedarfszulassung vergleichbar sei. Die Kammer sehe auch keine Veranlassung, einen Schutz vor Konkurrenz in den Fällen zu ermöglichen, in denen - wie hier - lediglich eine Genehmigung zur Erbringung spezieller Leistungen streitbefangen sei.

Gegen dieses Urteil (zugestellt am 28. März 2012) wendet sich die Klägerin mit ihrer Berufung vom 12. April 2012 und stützt sich dabei ergänzend auf die neuere Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG), wonach bei der Erteilung einer Dialysegenehmigung eine Anfechtungsberechtigung zugunsten der Vertragsärzte bestehe, die in die dafür erforderliche Bedarfsprüfung mit einzubeziehen seien. Zudem habe die Beklagte die angefochtene Genehm...

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