Entscheidungsstichwort (Thema)
Anforderungen an das vom Sozialhilfeträger auszuübende Ermessen bei Überleitung des Sozialhilfeanspruchs
Orientierungssatz
1. Die Überleitung des Sozialhilfeanspruchs nach § 93 Abs. 1 S. 1 SGB 12 dient der Realisierung des sozialhilferechtlichen Nachranggrundsatzes gemäß § 2 Abs. 1 SGB 12.
2. Ausreichend ist, dass ein überleitungsfähiger Anspruch in Betracht kommt, also nicht von vornherein ausgeschlossen ist. Genügend ist u. a., dass ein bestehender Anspruch auf einen Ausgleich wegen der Nichtinanspruchnahme eines eingeräumten Wohnungsrechts in Betracht kommt.
3. Der Sozialhilfeträger hat bei der Ausübung des ihm nach § 93 Abs. 1 S. 1 SGB 12 eingeräumten Ermessens die vom Betroffenen vorgetragenen Belange in seine Erwägungen einzustellen.
Nachgehend
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Hildesheim vom 30. November 2015 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten für das Berufungsverfahren sind nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin wendet sich gegen eine Überleitungsanzeige.
Die 1920 geborene Klägerin verkaufte mit notariellem Vertrag vom 12. Juni 1989 an ihre Tochter J. K. und deren Ehemann, L. K., mehrere Grundstücke, u.a. das im Zuständigkeitsbereich des Beklagten gelegene Hausgrundstück M. in N. (Flurstück 42 der Gemarkung O.). Der Vertrag enthielt folgende Regelung:
§ 4
Der Käufer verpflichtet sich hiermit, dem Verkäufer unentgeltlich und auf Lebenszeit folgendes Altenteil zu gewähren:
1. ein Wohnrecht an der abgeschlossenen Wohnung im ersten Stock des Hauses M., P. OT O., bestehend aus zwei Zimmern, einer Küche, Bad und WC.
2. der Berechtigten steht ein freies und ungehindertes Besuchsrecht sowie wie freier Umgang in Haus, Hof und Garten, wie bisher, zu.
3. alle Nebenkosten wie Strom, Wasser, Heizung pp. trägt die Berechtigte selbst.
4. Hege und Pflege in alten und kranken Tagen, soweit diese Kosten nicht durch die Krankenkasse oder von anderer Seite ersetzt werden. Es besteht Einigkeit darüber, dass die Pflegeleistungen nur in der Altenteilerwohnung zu erbringen sind.
…
Der Jahreswert dieses Altenteils beträgt DM 3.509,--.
Die Altenteilerwohnung ist 54,15 qm groß.
Die Eheleute K. wurden Eigentümer des Grundstücks, das Altenteil wurde in das Grundbuch eingetragen. Nachdem L. K. seinen Miteigentumsanteil im Jahr 1996 auf seine Ehefrau übertragen hatte, veräußerte diese das Hausgrundstück unter Übernahme des Altenteils an Q. F. und dessen Ehefrau, die im vorliegenden Verfahren beigeladene E. F. (notarieller Vertrag vom 2. November 2001, Eintragung im Grundbuch am 29. Januar 2002). Q. F. übertrug seinen Miteigentumsanteil im Jahr 2011 auf die Beigeladene.
Die Klägerin wird in einem Pflegeheim stationär betreut und erhält seit März 2014 vom Beklagten Leistungen der Hilfe zur Pflege nach dem SGB XII in Form der Übernahme ungedeckter Pflegeheimkosten. Mit an die Klägerin und die Beigeladene gerichtetem Bescheid vom 19. Mai 2014 leitete der Beklagte den Anspruch der Klägerin auf “vertraglich zugesicherte Altenteilsrechte/ Wohnungsrecht - Wertersatz -„ auf sich über. Die Überleitung beziehe sich auf den Anspruch aus dem Grundstückskaufvertrag vom 2. November 2001 auf ein lebenslanges Wohnungsrecht gemäß § 1093 BGB. Der Anspruch stelle ein vermögens-/ einkommenswertes Recht dar. Zum Einkommen eines Hilfeempfängers gehöre auch ein vertraglicher Anspruch auf Nutzungsentschädigung bzw. auf Geldleistungen wegen der Nichtinanspruchnahme des Wohnungsrechts. In Ausübung des dem Sozialhilfeträger nach § 93 SGB XII eingeräumten Ermessens mache er von der Ermächtigung zur Überleitung Gebrauch. Die Überleitung diene der Wiederherstellung des sozialhilferechtlichen Nachranggrundsatzes. Die Klägerin erhob gegen den Bescheid vom 19. Mai 2014 Widerspruch und machte geltend, dass bei einem Wohnrecht eine Überleitung nach § 93 SGB XII ausgeschlossen sei. Das Wohnrecht stelle ein höchstpersönliches Recht dar und erwachse daher nicht in einen geldwerten Rentenanspruch. Das Wohnrecht sei für den Sozialhilfeträger wertlos, da es weiterhin auf Überlassung der Wohnräume gerichtet sei. Zudem komme eine Umwandlung des Wohnrechts in einen Vergütungsanspruch nach der Rechtsprechung des BGH (Urteil vom 9. Januar 2009 - V ZR 168/07 -) unter den vorliegenden Umständen nicht in Betracht. Der Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 25. August 2014 zurück. Die Überleitung beziehe sich auf den sich aus dem notariellen Vertrag möglicherweise ergebenden Zahlungsanspruch als Ausgleich für die Nichtausübung des Wohnrechts. Aus der Rechtsprechung des BGH ergebe sich nicht, dass die Räume ohne Zustimmung des Wohnungsrechtsinhabers nicht selbst genutzt oder Dritten überlassen werden könnten, vielmehr sei eine ergänzende Vertragsauslegung erforderlich. Für die Rechtmäßigkeit der Überleitung sei es ohne Belang, ob und in welchem Umfang der übergeleitete Anspruch tatsächlich bestehe.