Entscheidungsstichwort (Thema)

Krankenversicherung. Krankengeld. Arbeitsunfähigkeit (AU). Dokumentation durch ununterbrochene AU-Bescheinigungen. ärztliche Untersuchung im Rahmen des Arzt-Patienten-Kontakts als zwingende Voraussetzung

 

Orientierungssatz

1. Voraussetzung für die Zahlung von Krankengeld ist nicht allein das Bestehen von AU, sondern daneben zugleich ihre Dokumentation durch ununterbrochene AU-Bescheinigungen.

2. Die ärztliche Untersuchung des Versicherten durch den behandelnden Arzt im Rahmen des Arzt-Patienten-Kontakts ist zwingende Voraussetzung für eine AU-Bescheinigung. Den Versicherten "beim Aufstehen in der Praxis gesehen und die erheblichen Beschwerden erkannt" zu haben reicht hierfür nicht aus, erst recht nicht außerhalb eines ärztlichen Untersuchungsraumes und ohne weitere anamnestische Erhebungen und/oder körperliche Untersuchungen.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 26.03.2020; Aktenzeichen B 3 KR 10/19 R)

 

Tenor

Die Berufung wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt von der Beklagten die Zahlung von Krankengeld über den 2. Oktober 2013 hinaus.

Der im Jahr 1957 geborene Kläger war bei der Beklagten gesetzlich krankenversichert aufgrund eines versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses (Sicherheitsfirma auf einem Flughafen), das zum 26. April 2013 endete.

Seit dem 22. April 2013 war der Kläger arbeitsunfähig erkrankt (au) und bezog von der Beklagten Krankengeld (Kg). Die letzte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (AU-Bescheinigung) der Gemeinschaftspraxis (GP) J. und K. datierte vom 16. August 2013 für den Zeitraum vom 16. August bis zum 2. Oktober 2013. Die Folgebescheinigung datierte vom 7. Oktober 2013 für den Zeitraum vom 7. Oktober bis zum 22. Oktober 2013.

Mit Bescheid vom 10. Oktober 2013 stellte die Beklagte fest, dass der Anspruch des Klägers auf Kg und seine versicherungspflichtige Mitgliedschaft zum 2. Oktober 2013 geendet hätten.

Den vom Kläger hiergegen unter dem 23. Oktober 2013 erhobenen Widerspruch wies die Beklagte nach Anhörung des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK; Gutachten vom 22. November 2013) mit Widerspruchsbescheid vom 18. Dezember 2013 zurück und führte zur Begründung im Einzelnen aus, dass der Anspruch auf Kg und damit gem. § 192 Abs. 1 Nr. 2 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) die Mitgliedschaft mit dem 2. Oktober 2013 entfallen sei, weil die AU-Folgebescheinigung erst am 7. Oktober 2013 und nicht spätestens am 2. Oktober 2013 ausgestellt worden sei. Der Anspruch auf Kg habe daher frühestens ab dem 8. Oktober 2013 entstehen können, jedoch sei der Kläger zu diesem Zeitpunkt mangels Beschäftigungsverhältnisses schon nicht mehr mit Anspruch auf Kg versichert gewesen. Auch ein Anspruch auf Kg gem. § 19 Abs. 2 Satz 1 SGB V für längstens einen Monat nach dem Ende der Mitgliedschaft scheide aus, da sich der Kläger ab dem 3. Oktober 2013 im Rahmen der Familienmitversicherung seiner Ehefrau versichern konnte.

Mit seiner hiergegen am 20. Januar 2014 vor dem Sozialgericht (SG) Braunschweig erhobenen Klage hat der Kläger ergänzend geltend gemacht, dass keine Unterbrechung in den AU-Bescheinigungen (sog. AU-Lücke, Anm. des Senats) vorliege. Er habe sich am 2. Oktober 2013 in der GP J. und K. vorgestellt. Da jedoch durch den Feiertag am 3. Oktober 2013 und der Praxisschließung am 4. Oktober 2013 das Patientenaufkommen sehr hoch gewesen sei, habe er den behandelnden Arzt Dr. J. nur kurz gesprochen. Dabei habe man besprochen, dass die ärztliche AU-Bescheinigung ausgestellt und am 7. Oktober abgeholt werden sollte. Die sofortige Ausstellung der AU-Bescheinigung sei allein aufgrund des außerordentlich hohen Patientenaufkommens in der Praxis unterblieben. Erst durch einen Fehler der Mitarbeiterin des Vertragsarztes sei auf dem Zahlschein nicht AU ab dem 2. Oktober 2013, sondern erst das Datum des 7. Oktober 2013 eingesetzt worden.

Die Beklagte hat vor dem SG erwidert, dass die AU nicht, wie erforderlich, am 2. Oktober 2013 bescheinigt worden sei. Soweit der behandelnde Arzt angebe, bei einem kurzen Gespräch auf dem Flur die fortlaufende AU festgestellt zu haben, reiche dies nicht aus. Nur eine richtlinien-konforme Untersuchung zur Bescheinigung der AU könne einen Anspruch auf Kg auslösen. Der Arzt habe den Besuch des Klägers am 2. Oktober 2013 im Übrigen auch nicht abgerechnet, was bestätige, dass eine Untersuchung auch tatsächlich nicht stattgefunden habe.

Das SG hat ermittelt und eine schriftliche Auskunft vom behandelnden Arzt eingeholt. In seinem Schreiben vom 5. August 2014 hat Dr. J. mitgeteilt, der Kläger habe sich am 2. Oktober 2013 in seiner Praxis vorgestellt und es habe auf dem Flur ein kurzes Gespräch mit ihm stattgefunden. Dabei habe er die AU des Klägers festgestellt. Die Ausstellung des Zahlscheins sei jedoch zunächst versäumt und erst am 7. Oktober 2013 bei der Wiedervorstellung nachgeholt worden.

Das SG hat die Klage mit Gerichtsbesch...

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