Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialhilfe. Eingliederungshilfeleistung. Heimvertrag. Vergütungsübernahme gem § 93 Abs 2 BSHG. vereinbarungsfreier Zeitraum. analoge Anwendbarkeit des § 93b Abs 2 S 4 BSHG. nachträglicher Ausgleich gem § 93b Abs 1 S 1 Halbs 2 BSHG. verfassungskonforme Auslegung
Orientierungssatz
1. Bedient sich der Träger der Sozialhilfe zur Erfüllung seiner Hilfeverpflichtung einer stationären Einrichtung, umfasst der Hilfeanspruch im Rahmen des sog "sozialhilferechtlichen Dreiecksverhältnisses" auch die Übernahme des Entgelts, das dem Hilfebedürftigen durch die Inanspruchnahme der Dienste der Einrichtung in Rechnung gestellt wird (vgl BVerwG vom 26.10.2004 - 5 B 50/04).
2. Der in § 93 Abs 2 S 1 BSHG geregelte Sozialhilfeanspruch auf Übernahme der Kosten ist als Geldleistungsanspruch zu qualifizieren und nicht als Sachleistungsanspruch (vgl OVG Lüneburg vom 12.6.2006 - 4 LC 309/02).
3. Die Öffnungsklausel des § 93 Abs 3 S 1 BSHG findet keine Anwendung, solange die Einrichtung mit dem Träger der Sozialhilfe über den Abschluss einer Vergütungsvereinbarung verhandelt.
4. Prospektiver Pflegesatz bedeutet, dass die Vereinbarungen nach § 93 Abs 2 BSHG für eine zukünftige Wirtschaftsperiode abzuschließen sind. Mit der Prospektivität ist das Selbstkostendeckungsprinzip mit einem nachträglichen Ausgleich von Überschüssen und Fehlbeträgen ausgeschlossen.
5. Die Regelung des § 93b Abs 1 S 1 Halbs 2 BSHG steht wegen der in Art 19 Abs 4 GG verankerten Rechtsschutzgarantie einer nachträglichen (Gerichts-)Entscheidung über die Festlegung einer Vereinbarung iS des § 93 Abs 2 BSHG nicht entgegen, da nur entschieden würde, welcher prospektive Pflegesatz zu Beginn der jeweiligen Wirtschaftsperiode zu Grunde zu legen ist; ein nachträglicher Ausgleich findet insofern gerade nicht statt. Der Grundsatz der Prospektivität ist von dem in § 93b Abs 2 BSHG geregelten Inkrafttreten der Vereinbarungen zu unterscheiden.
6. In analoger Anwendung des § 93b Abs 2 S 4 BSHG gelten auch vorläufig festgesetzte Vergütungsvereinbarungen aufgrund des gesetzgeberischen Ziels der vereinbarungsgebundenen Leistungserbringung bis zum Inkrafttreten neuer Vergütungen weiter.
7. Gem § 5 Abs 6 HeimG haben die Regelungen im Heimvertrag den Vereinbarungen gem § 93 Abs 2 BSHG zu entsprechen; solange keine endgültigen Vereinbarungen gem § 93 Abs 2 BSHG bestehen, richtet sich das Heimentgelt nach der vorläufigen Vereinbarung oder Festsetzung zwischen Sozialhilfeträger und Einrichtungsträger.
Nachgehend
Tatbestand
Der Kläger begehrt für die Zeit vom 6. August 2004 bis zum 22. September 2004 höhere Leistungen der Eingliederungshilfe unter Berücksichtigung seiner Entgeltverpflichtung aus einem mit dem Klinikum W geschlossenen Heimvertrag.
Bei dem 1964 geborenen Kläger liegt eine leichte Intelligenzminderung mit selbstgefährdendem Verhalten unter Alkoholeinwirkung in Kombination mit einer Alkoholabhängigkeitserkrankung vor. Nach einem Sturz mit komplizierter Unterschenkelfraktur bestand die Gefahr einer verzögerten Wundheilung und postoperativer Komplikationen, so dass der Kläger aufgrund fehlender Einsichtsfähigkeit und zur Sicherstellung von notwendigen medizinischen Maßnahmen am 6. August 2004 in den Heimbereich des Klinikums W aufgenommen wurde.
Nach dem am 9. August 2004 zwischen dem Kläger und dem Klinikum W GmbH mit Wirkung zum 6. August 2004 auf unbestimmte Dauer geschlossenen Heimvertrag gewährte die Einrichtung als Regelleistung Unterkunft, Verpflegung, grundpflegerische Leistungen und persönliche Hilfen, ärztliche Versorgung und Sozialberatung. Für diese Regelleistungen hatte der Kläger gemäß § 7 Abs 2 des Vertrages täglich 134,86 € (Grundpauschale 21,47 € inkl. 5,10 € Verpflegungsanteil, Investitionsanteil 23,00 €, Maßnahmenpauschale 90,39 €) zu zahlen. Weiter heißt es in § 7 Abs 4:
"Zwischen der Einrichtung und dem Land Niedersachsen besteht derzeit keine Leistungsvereinbarung. Die Entgeltverpflichtung kann sich verändern, sobald und soweit eine Leistungsvereinbarung zwischen dem Land Niedersachsen und der Einrichtung abgeschlossen wird. Erhöhungen der Entgeltverpflichtung für die Vergangenheit sind dabei ausgeschlossen."
Mit Bescheid vom 27. Juli 2005 gewährte die Beklagte dem Kläger Eingliederungshilfe für den Heimbereich des Klinikum W GmbH für den Zeitraum vom 6. August 2004 bis zum 22. September 2004. Weiter heißt es in dem an den Betreuer des Klägers gerichteten Bescheid:
"Kosten für den Aufenthalt in der Einrichtung werden nur in Höhe des mit mir oder im Einvernehmen mit mir bzw. der sachlich und örtlich zuständigen Behörde jeweils vereinbarten oder festgesetzten Pflegesatzes anerkannt."
Tatsächlich wurden für den Kläger Zahlungen an das Klinikum W unter Berücksichtigung eines Tagessatzes von 107,26 € erbracht, der Kläger erhielt einen monatlichen Barbetrag von monatlich 71,61 € im August 2004 und von 65,12 € für September 2004.
Die eingeschränkte Vergütungsübernahme der Beklagte...