Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialhilfe. Eingliederungshilfe. Heimvertrag. Vergütungsübernahme gem § 75 Abs 3 SGB 12. vorläufige Vergütung. analoge Anwendbarkeit des § 77 Abs 2 S 4 SGB 12. nachträglicher Ausgleich gem § 77 Abs 1 S 1 Halbs 2 SGB 12. verfassungskonforme Auslegung
Orientierungssatz
1. Bei einem Verwaltungsakt, der im Rahmen eines Eingliederungsfalles erlassen wurde, bei welchem nach den im Gerichts- und Verwaltungsverfahren vorliegenden ärztlichen Erkenntnissen eine Besserung des Zustandes kurzfristig nicht zu erwarten ist, handelt es sich um einen Dauerverwaltungsakt; eine Beschränkung würde sich nur dann ergeben, wenn der angefochtene Bescheid ausdrücklich ein Ende des Bewilligungszeitraumes enthält.
2. Bedient sich der Träger der Sozialhilfe zur Erfüllung seiner Hilfeverpflichtung einer stationären Einrichtung, umfasst der Hilfeanspruch im Rahmen des sog "sozialhilferechtlichen Dreiecksverhältnisses" auch die Übernahme des Entgeltes, das dem Hilfebedürftigen durch die Inanspruchnahme der Dienste der Einrichtung in Rechnung gestellt wird (vgl BVerwG vom 26.10.2004 - 5 B 50/04).
3. Der in § 75 Abs 3 S 1 SGB 12 geregelte Sozialhilfeanspruch auf Übernahme der Kosten ist als Geldleistungsanspruch zu qualifizieren und nicht als Sachleistungsanspruch (vgl OVG Lüneburg vom 12.6.2006 - 4 LC 309/02).
4. Die Öffnungsklausel des § 75 Abs 4 S 1 SGB 12 findet keine Anwendung, solange die Einrichtung mit dem Träger der Sozialhilfe über den Abschluss einer Vergütungsvereinbarung verhandelt.
5. Prospektiver Pflegesatz bedeutet, dass die Vereinbarungen nach § 75 Abs 3 SGB 12 für eine zukünftige Wirtschaftsperiode abzuschließen sind. Mit der Prospektivität ist das Selbstkostendeckungsprinzip mit einem nachträglichen Ausgleich von Überschüssen und Fehlbeträgen ausgeschlossen.
6. Die Regelung des § 77 Abs 1 S 1 Halbs 2 SGB 12 steht wegen der in Art 19 Abs 4 GG verankerten Rechtsschutzgarantie einer nachträglichen (Gerichts-)Entscheidung über die Festlegung einer Vereinbarung iS des § 75 Abs 3 SGB 12 nicht entgegen, da nur entschieden würde, welcher prospektive Pflegesatz zu Beginn der jeweiligen Wirtschaftsperiode zu Grunde zu legen ist; ein nachträglicher Ausgleich findet insofern gerade nicht statt. Der Grundsatz der Prospektivität ist von dem in § 77 Abs 2 SGB 12 geregelten Inkrafttreten der Vereinbarungen zu unterscheiden.
7. In analoger Anwendung des § 77 Abs 2 S 4 SGB 12 gelten die vereinbarten oder festgesetzten Vergütungen aufgrund des gesetzgeberischen Ziels der vereinbarungsgebundenen Leistungserbringung bis zum Inkrafttreten neuer Vergütungen weiter.
8. Gem § 5 Abs 6 HeimG haben die Regelungen im Heimvertrag den Vereinbarungen gem § 75 Abs 3 SGB 12 zu entsprechen; solange keine endgültigen Vereinbarungen gem § 75 Abs 3 SGB 12 bestehen, richtet sich das Heimentgelt nach der vorläufigen Vereinbarung oder Festsetzung zwischen Sozialhilfeträger und Einrichtungsträger.
Nachgehend
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 28. August 2006 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger begehrt für die Zeit ab dem 1. April 2005 höhere Leistungen der Eingliederungshilfe unter Berücksichtigung seiner Entgeltverpflichtung aus einem mit dem Klinikum I. geschlossenen Heimvertrag.
Der 1964 geborene ledige Kläger leidet an einem organischen Psychosyndrom, Alkoholabhängigkeit und einer Polyneuropathie. Er ist als schwerbehindert mit einem Grad der Behinderung (GdB) von 70 anerkannt mit dem Merkzeichen “G„. Er ist auf Grund seiner Suchtkrankheit auf Dauer wesentlich behindert (so u.a. die fachärztliche/sozialpsychiatrische Stellungnahme der Dipl.-Psychologin J. vom 9. März 2005). Vor der Aufnahme in eine andere stationäre Einrichtung in K. hatte der Kläger seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Hannover.
Seit dem 1. Januar 2005 erhält der Kläger von der Beklagten Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach § 41 ff Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII). Weitere Einkünfte hat er nicht.
Am 1. April 2005 wurde der Kläger in den Langzeitbereich des Klinikums I. aufgenommen. Nach dem am 11. April 2005 zwischen dem Kläger und dem Klinikum I. GmbH mit Wirkung zum 1. April 2005 auf unbestimmte Dauer geschlossenen Heimvertrag gewährt die Einrichtung als Regelleistung Unterkunft, Verpflegung, grundpflegerische Leistungen und persönliche Hilfen, ärztliche Versorgung und Sozialberatung. Für diese Regelleistungen zahlt der Bewohner gemäß § 7 Abs 2 des Vertrages täglich 134,86 € (Grundpauschale 21,47 € inkl. 5,10 € Verpflegungsanteil, Investitionsanteil 23,00 €, Maßnahmenpauschale 90,39 €). Weiter heißt es in § 7 Abs 4:
“Zwischen der Einrichtung und dem Land Niedersachsen besteht derzeit keine Leistungsvereinbarung. Die Entgeltverpflichtung kann sich verändern, sobald und soweit eine Leistungsvereinbaru...