Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Krankenhausvergütung. Verlegungsabschlag. Erfordernis einer stationären Behandlungsbedürftigkeit zum Zeitpunkt der Entlassung und erneuten Aufnahme. Auslegung von § 1 Abs 1 S 4 FPV 2015
Orientierungssatz
Ein Verlegungstatbestand iSd § 1 Abs 1 S 4 FPV 2015 (juris: FPVBG) kann nur dann angenommen werden, wenn sowohl zum Zeitpunkt der Entlassung aus dem abgebenden Krankenhaus als auch zum Zeitpunkt der Aufnahme in das aufnehmende Krankenhaus eine stationäre Behandlungsbedürftigkeit vorliegt.
Nachgehend
Tenor
1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Hildesheim vom 8. Oktober 2020 wird zurückgewiesen.
2. Die Beklagte trägt die Kosten auch des Berufungsverfahrens.
3. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 1.123,04 Euro festgesetzt.
4. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten im Rahmen der Krankenhausvergütung darum, ob eine Verlegung gegeben ist mit der Folge der Abrechnung als Verlegungstag und eines Verlegungsabschlags.
Die Klägerin ist ein zur Versorgung gesetzlich Krankenversicherter zugelassenes Krankenhaus (maximal Versorger), die Beklagte ist eine gesetzliche Krankenkasse. Die Klägerin behandelte den bei der Beklagten versicherten D. (Säugling; im Folgenden: Versicherter) im Zeitraum vom 19. bis 20. September 2015 vollstationär, streitig ist, ob der 20. September 2015 als Verlegungstag abzurechnen ist.
Zur Vorgeschichte:
Der Versicherte wurde am X. September 2015 im Krankenhaus E. geboren. Er wurde am 19. September 2015 im Krankenhaus der Klägerin zur stationären Behandlung aufgenommen. Die Mutter verblieb zur weiteren stationären Behandlung im Krankenhaus E. Der Versicherte wurde bis zum 20. September 2015 im Krankenhaus der Klägerin stationär behandelt. Am gleichen Tag wurde der Versicherte im Krankenhaus E. mit der Diagnose Z76.2 (Gesundheitsüberwachung und Betreuung eines anderen gesunden Säuglings und Kindes) aufgenommen.
Für die Behandlung des Versicherten rechnete die Klägerin am 28. Oktober 2015 die DRG P67C in Höhe von insgesamt 2.221,20 Euro ab, welche die Beklagte zunächst vollständig ausglich.
Mit Schreiben vom 23. November 2015 erbat die Beklagte von der Klägerin eine Änderung der Rechnung. Da der Versicherte am 20. September 2015 um 13:49 Uhr bei der Klägerin entlassen und am gleichen Tag um 14:00 Uhr im Krankenhaus E. aufgenommen worden sei, sei von der Klägerin der Verlegungsabschlag gem. § 1 Abs. 1 Fallpauschalenvereinbarung (FPV) zu berücksichtigen.
Weitere Korrespondenz zwischen den Beteiligten blieb ohne Einigung.
Die Beklagte verrechnete den streitigen Betrag in Höhe von 1.123,04 Euro am 29. Dezember 2016.
Mit Schriftsatz vom 23. Januar 2017/Eingang am 27. Januar 2017 hat die Klägerin die Zahlungsklage vor dem Sozialgericht (SG) Hildesheim erhoben. Zur Begründung hat sie im Einzelnen ausgeführt:
Nach Auffassung der Klägerin sei kein Verlegungsabschlag zu berechnen. Das Neugeborene sei gesund entlassen worden. Die Entlassung in das Krankenhaus E. sei nicht aus medizinischen Gründen erfolgt, sondern weil die Mutter des Säuglings sich dort noch zur stationären Behandlung befunden habe und der Säugling zur Mutter gebracht worden sei. Die Entlassung als gesund sei dem Entlassungsbericht vom 19. Oktober 2015 zu entnehmen. Dort sei ausgeführt, dass der Patient am 20. September 2015 in gutem Allgemeinzustand entlassen wurde. Dies spiegele sich auch in den Eintragungen in der Patientenakte sowie in den § 301 SGB V übermittelten Daten, in denen „Entlassung“ und nicht „Verlegung“ angegeben worden sei. Eine stationäre Weiterbehandlung sei weder vorgesehen noch medizinisch indiziert gewesen. Hätte sich die Mutter des Säuglings nicht noch im Krankenhaus E. befunden, wäre er nach Hause gebracht worden. § 3 FPV i.V.m. § 1 Abs. 1 Satz 4 FPV sei dahingehend zu verstehen, dass zum Zeitpunkt der Entlassung aus dem Krankenhaus die erforderliche medizinische Behandlung noch nicht abgeschlossen gewesen wäre. Bereits die kodierte Diagnose Z76.2 zeige, dass sich der Säugling wegen einer Krankheit der Mutter im Krankenhaus befunden habe und nicht eine Erkrankung des Säuglings selbst Ursache des Krankenhausaufenthalts war. Das eine Behandlung des Säuglings nicht nötig gewesen sei, lasse sich bereits daran ersehen, dass es über den Säugling in dem Krankenhaus E. weder Behandlungsunterlagen noch einen Entlassungsbericht gebe. Es seien also weder eine Notwendigkeit der Gesundheitsüberwachung noch deren tatsächliche Durchführung ersichtlich.
Die Beklagte hat vor dem SG erwidert, dass eine Verlegung des Säuglings stattgefunden habe und der Verlegungstag bei der Abrechnung zu berücksichtigen sei. Der Versicherte sei am 20. September 2015 um 13:49 Uhr aus der Klinik der Klägerin entlassen worden und bereits um 14:00 Uhr desselben Tages sei die Aufnahme im Krankenhaus E. erfolgt. Die Einweisung sei demnach binnen 24 Stunden nach Entlassung erfolgt. Nach § 1 FPV i.V.m. ...