Entscheidungsstichwort (Thema)
Überlanges Gerichtsverfahren. Entschädigungsklage. unangemessene Verfahrensdauer. sozialgerichtliches Verfahren. Verwaltungsverfahren und Vorverfahren kein Bestandteil des Gerichtsverfahrens. Verfahrensbeendigung ausschließlich durch Entscheidung in der Hauptsache. Unangemessenheit der Verfahrensdauer in einem Streitverfahren über eine (vergleichsweise geringe) Kürzung vertragsärztlichen Honorars unter Berücksichtigung verfahrensverzögernden Verhaltens des Klägers
Orientierungssatz
1. Das Verwaltungsverfahren und das dem gerichtlichen Verfahren vorausgegangene Vorverfahren bei einer Behörde (Widerspruchsverfahren) sind nicht Bestandteil des Gerichtsverfahrens im Sinne von § 198 Abs 1 S 1 und § 198 Abs 6 Nr 1 GVG.
2. Für die Frage des Zeitpunktes der Verfahrensbeendigung des innerstaatlichen Verfahrens kommt es ausschließlich auf die (endgültige) Entscheidung in der Hauptsache an (vgl EGMR vom 23.5.1991 - 6/1990/197/257 = NJW 1992, S 613).
3. Zur Frage der unangemessenen Dauer eines Gerichtsverfahrens nach den Umständen des Einzelfalls in einem Streitverfahren über eine (vergleichsweise geringe) Kürzung vertragsärztlichen Honorars unter Berücksichtigung verfahrensverzögernden Verhaltens des Klägers (vgl BGH vom 14.11.2013 - III ZR 376/12 = NJW 2014, 220, vom 5.12.2013 - III ZR 73/13 = NJW 2014, 789 und vom 23.1.2014 - III ZR 37/13 = NJW 2014, 939).
Nachgehend
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Der Streitwert des Verfahrens wird auf 20.000 EUR festgesetzt.
Tatbestand
Der Kläger begehrt von dem Beklagten Entschädigung wegen unangemessener Dauer der vor dem Sozialgericht (SG) Hannover bzw. Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen geführten Gerichtsverfahren S 35 KA 871/06 = L 3 KA 8/10.
Der Kläger nahm als Zahnarzt mit Sitz in H. an der vertragszahnsärztlichen Versorgung in Niedersachsen teil und rechnete für das Jahr 2005 vertragszahnärztliche Leistungen ab. Mit Bescheid vom 23. März 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. August 2006 setzte die Kassenzahnärztliche Vereinigung Niedersachsen (KZVN) den Jahreshonoraranspruch des Klägers für das Jahr 2005 fest. Gegen diese Entscheidung erhob der Kläger am 12. September 2006 Klage vor dem SG. Mit Urteil vom 21. September 2009 wies das SG die Klage ab. Die am 26. Januar 2010 vom Kläger erhobene Berufung gegen das Urteil des SG wies das LSG mit Urteil vom 12. Mai 2010, dem Kläger zugestellt am 2. September 2010, zurück. Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG wies das BSG mit Beschluss vom 9. Februar 2011 zurück (B 6 KA 52/10 B).
Mit seiner am 9. Januar 2012 eingegangenen, gegen das Land Niedersachsen gerichteten Klage hat der Kläger zunächst Entschädigung wegen unangemessener Dauer des Verfahrens S 35 KA 871/06 = L 3 KA 8/10 in Höhe von 15.000 EUR (immaterieller Schadensersatz) zuzüglich eines zunächst unbezifferten materiellen Schadensersatzes geltend gemacht. Er meint, dass im Hinblick auf die Länge des Verfahrens auch die Zeit des Vorverfahrens einzubeziehen sei; das Verfahren sei jedenfalls erst mit der Zustellung des Streitwertbeschlusses des SG vom 13. November 2011 am 17. November 2011 beendet worden. Außerdem sei die grobe “Faustregel„ von einem Jahr (Ein-Jahres-Regel) für die Dauer von Durchschnittsverfahren anzuwenden, was in seinem Fall dazu führe - u.a. wegen der Einfachheit der Sach- und Rechtslage - dass die Dauer pro Instanz deutlich unter einem Jahr hätte betragen müssen. Mit Schriftsatz vom 4. Juli 2014 hat der Kläger erklärt, immaterielle Entschädigung i.H.v. 6.100,00 €, materielle Entschädigung i.H.v. 20,00 € sowie “Entschädigung auf andere Weise„ zu begehren.
Der Kläger beantragt nach seinem schriftsätzlichen Vorbringen sinngemäß,
den Beklagten zu verurteilen, an ihn wegen der Nachteile aus der überlangen Dauer der Gerichtsverfahren S 35 KA 871/06 sowie L 3 KA 8/10 immateriellen Schadensersatz in Höhe von 6.100,00 EUR und materiellen Schadensersatz in Höhe von 20,00 EUR zu zahlen sowie “Entschädigung auf andere Weise„ zu leisten.
Der Beklagte beantragt schriftsätzlich,
die Klage abzuweisen.
Er meint, dass die Gerichtsverfahren S 35 KA 871/06 sowie L 3 KA 8/10 nicht unangemessen lang gewesen seien. Gründe für eine vordringliche Behandlung hätten nicht vorgelegen, so dass die Verfahrensdauer von insgesamt drei Jahren und acht Monaten für zwei Instanzen angemessen gewesen sei.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte des vorliegenden Verfahrens sowie des Verfahrens S 35 KA 871/06 = L 3 KA 8/10 Bezug genommen. Die Akten waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe
Der Senat konnte entscheiden, obwohl die Beteiligten nicht zur mündlichen Verhandlung erschienen waren, weil in der Terminsmitteilung auf diese Möglichkeit hingewiesen worden war (§ 101 Abs. 1...