Entscheidungsstichwort (Thema)
Wirtschaftlichkeitsprüfung. Arzneikostenregress. Verordnungsfähigkeit des nicht zulässigen Arzneimittels "Leukonorm Cytochemia" zur Verhinderung einer Fehlgeburt
Leitsatz (amtlich)
Zur Frage, ob das grundsätzlich im Rahmen der GKV nicht zulässige Arzneimittel "Leukonorm Cytochemia" ausnahmsweise zur Verhinderung einer Fehlgeburt vertragsärztlich verordnet werden darf.
Tenor
Die Berufung der Kläger gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Hannover vom 25. August 2011 wird zurückgewiesen.
Die Kläger tragen auch die Kosten des Berufungsverfahrens mit Ausnahme der Kosten der Beigeladenen zu 1. bis 7., die diese selbst tragen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird auf 10.928 Euro festgesetzt.
Tatbestand
Im Streit stehen Arzneikostenregresse für die Quartale I und II/2005.
Die Kläger waren in diesen Quartalen als Fachärzte für Frauenheilkunde und Geburtshilfe zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen und übten ihre Tätigkeit gemeinsam in Berufsausübungsgemeinschaft in F. aus. Am 29. März 2005 und 22. April 2005 verordnete der Kläger zu 1. das Präparat Leukonorm Cytochemia für die bei der IKK G. versicherte Patientin H.. Eine weitere Verordnung des Arzneimittels erfolgte am 16. Juni 2005 für die bei derselben Krankenkasse versicherte I.. Das Arzneimittel war in der DDR entwickelt und zugelassen worden. Aufgrund des Einigungsvertrages galt es zunächst auch im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland als zugelassen. Die Verlängerung der fiktiven Zulassung wurde im Dezember 2006 abgelehnt; die dagegen vom Hersteller erhobene Klage blieb ohne Erfolg.
Im Hinblick auf die Verordnung im Quartal I/2005 beantragte die Vereinigte IKK (vormals IKK G.) im März 2006 bei dem Prüfungsausschuss, gegen die Kläger einen Regress wegen unwirtschaftlicher Verordnungsweise festzusetzen. Einen weiteren Regressantrag stellte sie im Juni 2006 wegen der Verordnungen im Quartal II/2005. Zur Begründung ihrer Anträge führte sie an, dass es sich bei dem verordneten Arzneimittel um ein Organpräparat handele, das nach Maßgabe der Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses (GBA) über die Verordnung von Arzneimitteln in der vertragsärztlichen Versorgung (Arzneimittel-Richtlinien ≪AM-RL≫) nicht verordnungsfähig sei.
Dagegen wandten die Kläger ein, sie hätten das fiktiv zugelassene humane Leukozytenultrafiltrat Leukonorm Cytochemia indikationsgerecht nach entsprechender Diagnostik aufgrund habitueller Aborte eingesetzt. Die 1972 geborene Patientin J. habe Ende 2004 einen Abort in der 10. Schwangerschaftswoche (SSW) erlitten. Die im Anschluss erfolgte Immundiagnostik habe eine geringe Immundefizienz gezeigt. Im März 2005 habe sich die Patientin mit einer frühen Schwangerschaft in der 5. SSW vorgestellt. Dopplersonographisch seien beidseits erhöhte Widerstände in der Arteria uterina nachgewiesen worden, sodass wiederum von einem sehr hohen Abortrisiko habe ausgegangen werden müssen. Aufgrund der nachgewiesenen Immundefizienz und der starken Ängste der Patientin vor einem neuen Abort sei mit einer Calciparin- und Leukonorm-Therapie begonnen worden. Ende Mai 2005 hätten sich der Immunstatus und die uterinen Dopplerwerte deutlich verbessert gezeigt, sodass die Leukonorm-Therapie eingestellt worden sei. Die Schwangerschaft habe sich im weiteren Verlauf regelmäßig entwickelt und die Patientin sei von einem gesunden Kind entbunden worden. Die 1982 geborene Patientin K. habe sich erstmalig im Mai 2005 bei Zustand nach Abort an die Kläger gewandt und sei in der 6. SSW schwanger gewesen. Auch sie habe starke Ängste vor einem erneuten Abort gehabt. Bei den durchgeführten dopplersonographischen Untersuchungen habe sich ein erheblich erhöhter Widerstand in beiden uterinen Gefäßen gezeigt, der sich auch unter einer Calciparin-Therapie nicht gebessert habe. Es habe daher von einem sehr hohen Abortrisiko ausgegangen werden müssen. Die Überprüfung des Immunstatus habe eine geringgradige Immundefizienz gezeigt. Mit der daraufhin eingeleiteten zusätzlichen Therapie mit Leukonorm Cytochemia sei es zu einem deutlichen Absinken der Gefäßwiderstände und damit einer deutlichen Verbesserung der uterinen Durchblutung gekommen. Auch in diesem Fall habe ein Abort verhindert werden können; die Patientin sei von einem gesunden Kind entbunden worden. Zur Ergänzung ihrer Ausführungen haben die Kläger ein vom Kläger zu 1. verfasstes Behandlungskonzept vorgelegt.
Mit Bescheid vom 26. März 2009 setzte die beklagte Prüfungsstelle gegen die Kläger einen Regress wegen Verstoßes gegen die AM-RL im Quartal I/2005 in Höhe von 3.657,36 Euro fest. Mit weiterem Bescheid vom selben Tag setzte sie wegen der Verordnungen im Quartal II/2005 einen Regress in Höhe von 7.271,09 Euro fest. Zur Begründung ihrer Entscheidungen führte sie aus, mit den Verordnungen von Leukonorm Cytochemia sei gegen Nr 3 iVm Nr 20.2 Buchst f AM-RL verstoßen worden. Das Arzneimittel sei ein Umstimmungsmittel (Immunstimulans) gemäß Nr 20.2 Buchst f AM-RL...