Entscheidungsstichwort (Thema)
sozialgerichtliches Verfahren. Versäumung der Berufungsfrist. Zustellungszeitpunkt. Beweiskraft des Empfangsbekenntnisses. Gegenbeweis
Orientierungssatz
1. Das nach § 5 Abs 2 VwZG ausgestellte Empfangsbekenntnis erbringt den vollen Beweis der in ihm bezeugten Tatsachen (hier: Zeitpunkt der Zustellung), unabhängig davon, ob es sich um eine öffentliche Urkunde oder eine Privaturkunde handelt.
2. Die Beweiskraft des Empfangsbekenntnisses kann nur im Wege des Hauptbeweises widerlegt werden. Dazu reicht es nicht aus, das Zweifel an der Richtigkeit des Empfangsbekenntnisses begründet sind oder sogar die Wahrscheinlichkeit seiner Unrichtigkeit besteht. Vielmehr muss zur Führung des Gegenbeweises jede Möglichkeit der Richtigkeit des Empfangsbekenntnisses ausgeschlossen werden können.
Nachgehend
Tatbestand
Die Beteiligten streiten in der Sache darüber, ob ein am 21. Juli 1993 auf dem Heimweg von der Arbeitsstätte erlittener Unfall bei der Berufungsklägerin über die 13. Woche hinaus eine Minderung der Erwerbsfähigkeit - MdE - in rentenberechtigendem Maße hinterlassen hat. Die Berufungsbeklagte hat dies verneint und die Gewährung von Verletztenrente mit Bescheid vom 25. Oktober 1994 sowie Widerspruchsbescheid vom 25. Januar 1995 abgelehnt; die hiergegen erhobene Klage ist mit Urteil des Sozialgerichts Hildesheim vom 15. März 2002, das dem Prozessbevollmächtigten der Berufungsklägerin nach einem von diesem eigenhändig unterzeichneten und mit dem Datum des "24.02.2002" versehenen Empfangsbekenntnis an diesem Tage zugestellt worden ist, erfolglos geblieben.
Mit der durch ihren Prozessbevollmächtigten am 27. Mai 2002, einem Montag, per Fax eingelegten Berufung verfolgt die Berufungsklägerin ihr Begehren weiter. Auf den Hinweis des Berichterstatters, dass die Zustellung des erstinstanzlichen Urteils ausweislich des zurückgereichten Empfangsbekenntnisses am 24. Februar 2002 erfolgt sei, so dass die Berufung nur bis zum 24. März 2002, einem Freitag, fristgerecht habe eingelegt werden können, macht sie durch ihren Prozessbevollmächtigten geltend: Das auf dem Empfangsbekenntnis eingetragene Empfangsdatum sei falsch. Insoweit sei rechtlich geklärt, dass es für die Zustellung gegen Empfangsbekenntnis nicht auf den Eingang des zuzustellenden Schriftstücks in der Kanzlei ankomme, sondern auf denjenigen Zeitpunkt, zu dem es der bevollmächtigte Rechtsanwalt selbst empfangsbereit entgegennehme. Am 24. März 2002 habe er, Rechtsanwalt T, sich jedoch zur Wahrnehmung des Termins in einer anderen Sache in O aufgehalten, von wo er erst im Laufe des Nachmittags zurückgekehrt sei, ohne an diesem Tag noch Kenntnis von dem Urteil zu nehmen. Aufgrund des entstandenen Rückstaus sei dies vielmehr erst am 26. März 2002 geschehen. An diesem Tag habe er ein Schreiben an die Berufungsklägerin diktiert, dem eine Urteilsabschrift beigefügt worden sei. Die Zustellung des erstinstanzlichen Urteils sei mithin nicht vor dem 26. März 2002 erfolgt, die am 27. April 2002 eingelegte Berufung rechtzeitig, da die Berufungsfrist am 26. April 2002, einen Sonntag, nicht habe ablaufen können.
Zur Substantiierung dieser Angaben hat der Prozessbevollmächtigte der Berufungsklägerin weiter vorgetragen: Gerade mit Rücksicht auf den Umstand, dass eine Zustellung gegen Empfangsbekenntnis erst zum Zeitpunkt der Kenntnisnahme durch den bevollmächtigten Rechtsanwalt wirksam werde, gelte in der Kanzlei die Anweisung, dass bei einem solchen Eingang lediglich das zuzustellende Schriftstück, nicht jedoch das zugehörige Empfangsbekenntnis mit dem aktuellen Datumsstempel versehen werde. Erst wenn der mit der Sache befasste Rechtsanwalt den Inhalt des Schriftstücks zur Kenntnis genommen habe, unterschreibe er das Empfangsbekenntnis blanko. Es sei dann anschließend Aufgabe der zuständigen Sachbearbeiterin, das bereits unterschriebene Empfangsbekenntnis mit Ortsangabe, Datum und Stempel zu versehen und auf dem in der Akte verbleibenden, mit Eingangsstempel versehenen Exemplar des zuzustellenden Schriftstücks einen paraphierten Bearbeitungsvermerk anzubringen, aus dem sich die Verfügung des Rechtsanwalts sowie das Datum der Bearbeitung ergebe. Im vorliegenden Fall habe dabei die ansonsten zuverlässige Sachbearbeiterin Frau G S den Fehler gemacht, als Datum der Zustellung das Datum des auf dem Urteil angebrachten Eingangsstempels (24. April 2002) anstatt dasjenige der durch ihren Vermerk bestätigten Sachbearbeitung (26. April 2002, vgl. Bl. 405 der Gerichtsakten) auf das Empfangsbekenntnis zu übertragen. Die Berufung sei nach alledem rechtzeitig eingelegt, jedenfalls sei aber der Berufungsklägerin Wiedereinsetzung in die Berufungsfrist zu gewähren. Zwar würden im Fristenkalender bereits zum Zeitpunkt des Eingangs einer Zustellung eine Vorfrist sowie eine Notfrist notiert, die nach dem - gegenüber dem Zustellungszeitpunkt in der Regel früheren - Zeitpunkt des Eingangs in der Kanzlei bemessen würden un...