Entscheidungsstichwort (Thema)

Grundsicherung für Arbeitsuchende. Ersatzanspruch bei sozialwidrigem Verhalten. keine Sperrwirkung einer vorab erfolgten Sanktion nach § 31 SGB 2. Nichtantritt einer Arbeitsstelle. erforderlicher Umzug an den zukünftigen Beschäftigungsort. Nichtanmietung einer Wohnung aus finanziellen Gründen nach Ablehnung des Antrags auf Übernahme einer Mietkaution. rechtswidriges Behördenhandeln. fehlende Sozialwidrigkeit

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die Feststellung des Eintritts einer Sanktion nach § 31 SGB II (in der bis zum 31.12.2022 geltenden Fassung) entfaltet keine Sperrwirkung gegenüber dem Ersatzanspruch bei sozialwidrigem Verhaltens nach § 34 SGB II (Anschluss an BSG vom 3.9.2020 - B 14 AS 43/19 R = SozR 4-4200 § 34 Nr 5).

2. Bei dem Ersatzanspruch nach § 34 SGB II handelt es sich um einen engen und deliktsähnlichen Ausnahmetatbestand (Anschluss an Urteil vom 3.9.2020 - B 14 AS 43/19 R aaO).

3. Der Nichtantritt einer außerhalb des Tagespendelbereichs gelegenen Arbeitsstelle stellt kein sozialwidriges Verhalten iSd § 34 SGB II dar, wenn der Arbeitsuchende am zukünftigen Beschäftigungsort keine Wohnung anmieten kann, weil ihm selbst die erforderlichen Mittel zur Finanzierung der für eine neue Wohnung anfallenden Mietkaution fehlen und die als örtlich zuständig in Betracht kommenden Jobcenter die Übernahme der Mietkaution abgelehnt haben.

 

Tenor

Die Berufung des Beklagten wird zurückgewiesen.

Der Beklagte erstattet dem Kläger auch die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Berufung des Beklagten richtet sich gegen das Urteil des Sozialgerichts (SG) Osnabrück vom 17. Juni 2021 - S 23 AS 231/20, mit dem das SG der Klage des Klägers gegen einen vom Beklagten für die Monate Juni bis Dezember 2019 geltend gemachten Ersatzanspruch i.H.v. zuletzt 5.896,04 Euro stattgegeben hat.

Der 1962 geborene Kläger, der damals bereits langjährig im laufenden Bezug von Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II) stand, erhielt im Jahr 2019 vom Beklagten SGB II-Leistungen i.H.v. 798,72 Euro pro Monat (vgl. im Einzelnen: Bewilligungsbescheid vom 6. Dezember 2018, Aufhebungsbescheid vom 9. Mai 2019 sowie Bewilligungsbescheid vom 29. Mai 2019 - im Juni 2019 betrugen die SGB II-Leistungen wegen der Anrechnung eines Betriebskostenguthabens lediglich 634,47 Euro).

Die Erwerbsbiographie des Klägers, der einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellt ist (§ 2 Abs 3 SGB IX), stellt sich ausweislich des in der Verwaltungsakte befindlichen Lebenslaufs wie folgt dar: Im Jahr 1979 verließ der Kläger die Hauptschule/Werkrealschule ohne Abschluss. Von 1981 bis 1983 absolvierte er erfolgreich eine Berufsausbildung zum Industriekaufmann und arbeitete anschließend - unterbrochen durch Zeiten der Arbeitslosigkeit - bei verschiedenen Arbeitgebern als Buchhalter, zuletzt bis zum 17. Januar 2003. Für die Zeit ab 18. Januar 2003 sind im Lebenslauf des Klägers Zeiten der Arbeitslosigkeit, der Arbeitsunfähigkeit, Weiterbildungs- und Maßnahmezeiten sowie verschiedene abhängige Beschäftigungen verzeichnet (u.a. als Helfer im Verkauf/Supermarkt, Helfer Lagerwirtschaft/Transport, Helfer Reinigung/Raumpfleger, Helfer Büro/Verwaltung, Gebäudereiniger sowie Auslieferungsfahrer, vgl. im Einzelnen: Bl. 126 bis 131 Bd. VI der Verwaltungsakte - VA -).

Im Mai 2017 besprachen die Beteiligten erneut das weitere Bewerbungsverhalten. Hierzu hielt der Beklagte in einem Gesprächsvermerk Folgendes fest: Der Kläger sei sich bewusst, auf Bewerbungen im Öffentlichen Dienst aufgrund seiner Gleichstellung mit einem schwerbehinderten Menschen eingeladen werden zu müssen. Er habe geäußert, dass die Arbeitgeber ihn ansonsten aufgrund seiner Entfernung zum Beruf „Buchhalter“ vermutlich nicht einladen würden. Ihm sei vom Beklagten mitgeteilt worden, dass Bewerbungen in diesem Bereich nicht weiter erfolgversprechend seien und der Beklagte daher Fahrkosten zu Vorstellungsgesprächen als Buchhalter nicht mehr erstatten werde. Es gehe vielmehr um die Suche nach beruflichen Alternativen (Gesprächsvermerk vom 9. Mai 2017, Bl. 69 Bd. VI VA). Auch in der durch Verwaltungsakt vom 9. Mai 2017 ersetzten Eingliederungsvereinbarung hielt der Beklagte daran fest, dass für Bewerbungen als Buchhalter keine Fahrkosten mehr übernommen würden. Dieser Eingliederungsverwaltungsakt wurde vom Beklagten später wieder aufgehoben (Anerkenntnis des Beklagten im Klageverfahren S 23 AS 360/17).

Erneut schrieb der Beklagte die Regelung zur Nichtübernahme von Fahrkosten für Bewerbungen als Buchhalter (oder vergleichbare Stellen) in dem Eingliederungsverwaltungsakt vom 17. Mai 2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. Juli 2019 fest. Eine vom Kläger beim SG Osnabrück hiergegen erhobene Klage wurde mit Gerichtsbescheid vom 17. Juni 2021 - S 23 AS 351/19 abgewiesen, wobei dem SG nicht bekannt war, dass der mit der Klage angefochtene Eingliederungsverwaltungsakt vom Beklagten ...

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