Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Menschen mit Behinderung. Kostenübernahme der Entfernung weicher Zahnbeläge im Rahmen einer Zahnreinigung
Orientierungssatz
Die Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses für eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche vertragszahnärztliche Versorgung (Behandlungsrichtlinie) - ZÄBeh-RL (juris: ZÄBehRL) des Gemeinsamen Bundesausschusses ist unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten so auszulegen, dass die Entfernung weicher Zahnbeläge bei einem Menschen mit Behinderung von der zuständigen Krankenkasse im Rahmen einer Zahnreinigung zu übernehmen ist.
Nachgehend
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 13. Februar 2014 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers auch des Berufungsverfahrens zu tragen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beklagte wendet sich mit ihrer Berufung gegen ein eine Zahnreinigung zusprechendes Urteil des Sozialgerichts Hannover.
Der 1975 geborene Kläger ist körperlich und geistig behindert. Er ist in die Pflegestufe III eingestuft und hat einen Grad der Behinderung von 100. Er leidet unter anderem an einem frühkindlichen Hirnschaden mit geistiger Retardierung und einer Wirbelsäulenverkrümmung.
Er hat 29 gesunde Zähne ohne Kariesbefund und leidet an einer Gingivitis (Zahnfleischentzündung).
Er ist nicht in der Lage, sich selbst die Zähne zu putzen.
Er toleriert das Zähneputzen durch seine Mutter nur eingeschränkt.
Am 9. November 2009 beantragte er die wöchentliche Zahnreinigung bei seiner ihn behandelnden Zahnärztin J. Zur Begründung führte er aus, dass sein Zahnfleisch so stark entzündet sei, dass er hierdurch immer wieder starke Schmerzen habe und er laufend zum Zahnarzt müsse. Es würde eine Grundreinigung durchgeführt, die jeweils 15,00 Euro koste. Gegenüber dem Medizinischen Dienst der Krankenversicherung nahm die behandelnde Zahnärztin am 14. Januar 2010 Stellung und führte aus, dass der Kläger voll bezahnt sei. Es würden in halbjährlichen Abständen die Zähne in der Praxis geputzt und Zahnstein entfernt. Es sei klar geworden, dass eine regelmäßige, ausreichende häusliche Mundhygiene mithilfe der Eltern nicht möglich sei. Aufgrund seiner körperlichen und geistigen Behinderung könne der Kläger nicht alleine ausspülen. Das Zahnfleisch blute sehr stark, weshalb eine Absaugung zum Zähneputzen unbedingt erforderlich sei. Mit einer wöchentlichen professionellen Reinigung in der Praxis sei die häusliche Pflege besser zu bewerkstelligen und es könnten eine spätere aufwendige Narkosesanierung und Schmerzen erspart bleiben. Eine wöchentliche Reinigung in der Praxis würde ca. 25,00 Euro kosten. Eine vierteljährliche Anwendung eines Chlorhexidin Lax inklusive Reinigung und Trockenlegung sei ebenfalls zu empfehlen.
Daraufhin nahm der MDK durch den Zahnarzt K. auf Anforderung der Beklagten am 25. Januar 2010 Stellung. Hierbei führte er aus, dass es eine Frage der Zeit sei, wann es zu weitreichenden Schäden an den Zähnen des Klägers kommen würde. Nur mit professioneller Hilfe werde dies eventuell zu verhindern sein. Unter rein zahnmedizinischen Aspekten sei die professionelle Unterstützung der Mundhygiene im Interesse eines langfristigen Zahnerhaltes wünschenswert. Allerdings gäbe es Unwägbarkeiten. Es gäbe keine klare Antwort auf die Frage, wie lange ein Zahnverlust zu verhindern sei. Es gäbe auch keine klare Antwort auf die Frage, ob es indiziert sei, die vorgesehenen Maßnahmen zu erbringen und ob sie als Kassenleistung zu erbringen seien. Es handele sich um eine Ermessensfrage, welche Leistungen die Solidargemeinschaft in einem solchen Falle erbringen müsse.
Mit Bescheid vom 23. Februar 2010 lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers ab. In der Begründung führte sie aus, dass die Kostenübernahme für eine wöchentliche Zahnreinigung nicht im Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung enthalten sei. Der Gesetzgeber habe festgelegt, dass die Zahnprophylaxe für Erwachsene zu einer Eigenleistung gehöre.
Hiergegen erhob der Kläger am 15. März 2010 Widerspruch. Zur Begründung führte er im Wesentlichen aus, dass er schwerbehindert sei und die Pflegestufe III zuerkannt bekommen habe. Es stelle sich die Frage, wovon er, da er nur eine kleine Grundsicherung erhalte, die Leistungen selbst bezahlen solle.
Mit Widerspruchsbescheid vom 24. Juni 2010 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Zur Begründung führte sie im Wesentlichen aus, dass Maßnahmen der Individualprophylaxe für Erwachsene durch den Gesetzgeber aus dem Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung herausgenommen seien. Die professionelle Zahnreinigung sei keine Krankenbehandlung im Sinne der gesetzlichen Krankenversicherung.
Am 29. Juli 2010 hat der Kläger, vertreten durch seine als Betreuerin bestellte Mutter, Klage erhoben. Zur Begründung hat er ausgeführt, dass aufgrund seiner schweren Behinderung es seiner Mutt...