Entscheidungsstichwort (Thema)
Rücknahme der Arbeitslosengeldbewilligung. Nichtmitteilung der Erwerbstätigkeit. Arbeitslosigkeit. Beschäftigungslosigkeit. Kurzzeitigkeitsgrenze. unentgeltliche Beschäftigung zur Schuldentilgung. fingierte Verfügbarkeit bei Maßnahmeteilnahme zur Eignungsfeststellung. Bestimmtheit des Rücknahmebescheides
Leitsatz (amtlich)
1. Auch wenn ein Entgelt nicht gezahlt sondern stattdessen (vermeintliche) Schulden beim Unternehmensinhaber getilgt werden, entfällt Arbeitslosigkeit iS des § 119 SGB 3 aF (nunmehr: § 138 SGB 3) durch Aufnahme einer Beschäftigung von mindestens 15 Stunden pro Woche (hier: Fahrer für ein Autohaus mit einer Arbeitszeit von 46,5 Stunden pro Woche).
2. Die Kurzzeitigkeitsgrenze (§ 119 Abs 3 SGB 3 aF; nunmehr: § 138 Abs 3 SGB 3) findet auch Anwendung, wenn der Betroffene während des Arbeitslosengeldbezugs wegen der Ableistung eines vom Leistungsträger genehmigten Praktikums sowieso nicht verfügbar war, sondern seine Verfügbarkeit lediglich fingiert wurde (§§ 48, 120 Abs 1 SGB 3 in den bis zum 31.12.2008 geltenden Fassungen).
3. Zu den Anforderungen an die Bestimmtheit eines Rücknahme- und Erstattungsbescheides.
Tenor
Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 21. Januar 2011 wird zurückgewiesen.
Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Rechtmäßigkeit der Rücknahme einer Bewilligung von Arbeitslosengeld (Alg) für die Zeit vom 16. August bis 31. Oktober 2005 sowie um die Erstattung des in diesem Zeitraum gewährten Alg (einschließlich der entrichteten Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung) in Höhe von insgesamt 3.991,55 Euro.
Die Beklagte gewährte dem Kläger nach einer vorangegangenen abhängigen Beschäftigung als Kraftfahrer in der Zeit vom 16. Juli 2005 bis 31. Oktober 2005 Alg (täglicher Leistungsbetrag: 40,81 Euro - Bewilligungsbescheid vom 24. August 2005). Am 1. November 2005 endete der Alg-Bezug infolge der Aufnahme einer Beschäftigung bei der I. GmbH & Co. KG.
Während des laufenden Alg-Bezugs absolvierte der Kläger in Abstimmung und mit Genehmigung der Beklagten Praktika zur Eignungsfeststellung bei der Spedition J. (15. bis 31. August 2005) und bei der späteren Arbeitgeberin I. GmbH & Co. KG (1. September bis 31. Oktober 2005).
Am 5. April 2007 erhielt die Beklagte aufgrund eines Schreibens des Hauptzollamtes K. Kenntnis davon, dass der Kläger in den Monaten August bis Oktober 2005 für die Autohaus L. GmbH tätig gewesen sei. Das Hauptzollamt errechnete aus den sichergestellten Tachoscheiben folgende Arbeitsstunden des Klägers:
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Dienstag, 16.08.2005, bis Freitag, 19.08.2005: |
46,5 Stunden |
Montag, 29.08.2005 |
19,5 Stunden |
Dienstag, 30.08.2005 |
8,5 Stunden |
Sonnabend, 3.09.2005 |
15 Stunden |
Freitag, 9.09.2005 |
6 Stunden |
Sonnabend, 8.10.2005 |
18 Stunden |
Montag, 10.10.2005 |
11 Stunden |
Nach Anhörung des Klägers (Anhörungsschreiben vom 21. August 2007) hob die Beklagte die Alg-Gewährung für die Zeit vom 15. August bis 31. Oktober 2005 vollständig auf und verlangte vom Kläger die Erstattung des in dieser Zeit gewährten Alg in Höhe von 3.142,37 Euro zzgl. der entrichteten Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung in Höhe von 901,70 Euro (Gesamtsumme: 4.044,07 Euro). Die Beklagte begründete dies damit, dass mit der Aufnahme der Beschäftigung bei der Autohaus L. GmbH die Arbeitslosigkeit entfallen sei. Bis zur erneuten Arbeitslosmeldung habe kein neuer Alg-Anspruch entstehen können. Aufgrund der unterbliebenen Anzeige über die Beschäftigungsaufnahme habe der Kläger seine Mitteilungspflichten zumindest grob fahrlässig verletzt (Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 12. September 2007).
Im Widerspruchsverfahren machte der Kläger geltend, bei der Autohaus L. GmbH keiner Erwerbstätigkeit nachgegangen zu sein. Es habe sich “allenfalls„ um eine “ehrenamtliche Tätigkeit„ gehandelt. Er habe kein Arbeitsentgelt erhalten, sondern gemeint, eine “alte Schuld (übernommene Bußgelder)„ abtragen zu müssen. Er habe nicht wissen können, dass dies für ihn nachteilig sein könnte. Dementsprechend habe er seine Mitteilungspflichten weder vorsätzlich noch grob fahrlässig verletzt. Er sei zudem jederzeit (von einem Kalendertag auf den anderen) verfügbar gewesen. Auch habe die Beklagte nicht berücksichtigt, dass bei der Kurzzeitigkeitsgrenze von 15 Arbeitsstunden gelegentliche Abweichungen in der Arbeitzeit unbeachtlich seien.
Die Beklagte ersetzte im Widerspruchsverfahren den Bescheid vom 12. September 2007 durch den Rücknahme- und Erstattungsbescheid vom 20. Februar 2008, mit dem die Rücknahme (bislang: Aufhebung) der Alg-Gewährung auf die Zeit ab 16. August 2005 (bislang: 15. August 2005) beschränkt und der Erstattungsbetrag auf 3.101,56 Euro (Alg) zzgl. 889,99 Euro (Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung), d.h. auf insgesamt 3.991,55 Euro herabgesetzt wurde. Sodann wies die Beklagte den Widerspruch gegen den Bescheid vom 12. September 2007 in der Fassung des Ersetz...