Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialgerichtliches Verfahren. Klagerecht des Grundsicherungsträgers. Feststellungsklage. Rechtsschutz- und Feststellungsinteresse. Sanktion. Beschränkung des Arbeitslosengeld II auf die Leistungen für Unterkunft und Heizung bei unter 25jährigen Leistungsberechtigten. fachliche Weisungen der BA. Berücksichtigung oder Nichtberücksichtigung von Einkommen und Vermögen. verfassungskonforme Auslegung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Dem kommunalen Träger steht aus § 44a Abs 6 S 4 SGB II ein Klagerecht zu. Richtige Klageart ist die Feststellungsklage gemäß § 55 Abs 1 Nr 1 SGG gerichtet auf die gerichtliche Feststellung des Umfangs der Hilfebedürftigkeit in konkreten Einzelfällen der Leistungsgewährung.

2. Die abstrakte Überprüfung der Fachlichen Hinweise der Agentur für Arbeit an das Jobcenter für die SGB II-Fallbearbeitung kann nicht zulässiger Gegenstand einer Klage nach § 44a Abs 6 S 4 SGB II sein. Eine solche Überprüfung verwaltungsinterner Vorschriften kennt das SGG nicht.

3. Ergibt sich die Beanstandung des kommunalen Trägers einzig aus nach seiner Auffassung unzutreffenden Fachlichen Hinweisen, kann ein Feststellungsinteresse für eine Klage nach § 44a Abs 6 S 4 SGB II unter dem Gesichtspunkt der tatsächlichen Präjudizialität angenommen werden.

4. Soweit § 31a Abs 2 S 1 SGB II - erste Stufe der Sanktion bei unter 25jährigen Personen - sowohl dahingehend ausgelegt werden kann, dass Einkommen und Vermögen auf die KdUH-Bedarfe nach Eintritt des Sanktionsereignisses anzurechnen sind, als auch dahingehend, dass die KdUH unverändert in der vor dem Eintritt des Sanktionsereignisses festgestellten Höhe zu erbringen sind, ist wegen des Ausnahmecharakters von Sanktionen als Eingriff in das grundgesetzlich geschützte Existenzminimum die für den Hilfeempfänger günstigere Auslegungsmöglichkeit zu wählen.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 26.11.2020; Aktenzeichen B 14 AS 47/18 R)

 

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Hildesheim vom 9. Juni 2015 wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Der Streitwert wird auf 1.565,10 Euro festgesetzt.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Der Kläger macht die Rechtswidrigkeit einer Weisung der Beklagten an das örtlich zuständige Jobcenter bei der Anwendung von § 31a Abs 2 Satz 1 Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II) und daraus resultierende materielle Schäden geltend. In diesem Zusammenhang streiten die Beteiligten um die Frage, ob bei der ersten Stufe einer Sanktion bei unter 25jährigen Personen etwaig vorhandenes Einkommen auf die Leistungen für Kosten für Unterkunft und Heizung (KdUH) anzurechnen ist.

Der Kläger ist der kommunale Träger im Sinne des § 6 Abs 1 Satz 1 Nr 2 SGB II; die Beklagte ist der Träger der Leistungen nach § 6 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB II. Sie haben das Jobcenter H. als gemeinsame Einrichtung im Sinne des § 44b SGB II zur einheitlichen Durchführung der Grundsicherung gebildet.

Im Zuge des Gesetzes zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (RegelbedarfsÄndG) sind mit Wirkung zum 1. April 2011 die Sanktionsvorschriften geändert worden. § 31a Abs 2 Satz 1 SGB II lautet seitdem: „Bei erwerbsfähigen Leistungsberechtigten, die das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, ist das Arbeitslosengeld II bei einer Pflichtverletzung nach § 31 auf die für die Bedarfe nach § 22 zu erbringenden Leistungen beschränkt.“

Im Juli 2011 änderte die Beklagte ihre sog. Fachlichen Hinweise an das Jobcenter zur SGB II-Fallbearbeitung. Hiernach war bei einer ersten Pflichtverletzung bei unter 25jährigen Personen wie folgt vorzugehen:

“(2) Bei jungen erwerbsfähigen Leistungsberechtigten ist bei einer ersten Pflichtverletzung nach § 31 der Leistungsanspruch auf die Leistungen zur Deckung der Bedarfe für Unterkunft und Heizung beschränkt, soweit sie zuvor über die Rechtsfolgen belehrt wurden bzw. die Rechtsfolgen kannten. Die Leistungen für Unterkunft und Heizung mindern sich wegen einer ersten Sanktion somit nicht; d. h. der Minderungsbetrag fällt je nach Höhe der maßgebenden Regel- und/oder Mehrbedarfe unterschiedlich hoch aus. Besteht wegen der Anrechnung von Einkommen nur ein Bedarf an Leistungen für Unterkunft und Heizung, geht eine Sanktion aufgrund einer ersten Pflichtverletzung ins Leere. Wegen der Belehrung über die Rechtsfolgen bei einer wiederholten Pflichtverletzung ist jedoch ein Sanktionsbescheid zu erteilen.

Beispiel: Max, 20 Jahre alt (im Haushalt der Eltern wohnend): Regelbedarf nach Anrechnung von Kindergeld 115 EUR, KdU 200 EUR. Wegen einer ersten Pflichtverletzung ist der Anspruch auf 200 EUR Leistungen für Unterkunft und Heizung beschränkt; die Minderung beträgt somit 115 EUR.“

Soweit ersichtlich gelten die Hinweise noch fort (Stand: Mai 2017). Nach den Fachlichen Hinweisen zur Vorgängerregelung (§ 31 Abs 5 Satz 1 HS 1 SGB II in der bis zum 31. März 2011 gültigen Fassung) sollte hingegen eine Anrechnung von Einkommen und Ver...

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