Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende. Einkommensberücksichtigung. Entschädigung bei unangemessener bzw überlanger Dauer eines Gerichtsverfahrens
Orientierungssatz
1. Eine Entschädigung wegen unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens gemäß § 198 GVG ist nach § 11 Abs 1 S 1 SGB 2 als Einkommen zu berücksichtigen.
2. Eine entsprechende Anwendung des § 11a Abs 2 SGB 2 kommt nicht in Betracht; da es sich bei der Vorschrift um eine abschließende und einer Analogie nicht zugängliche Regelung handelt (vgl BSG vom 5.9.2007 - B 11b AS 15/06 R = BSGE 99; 47 = SozR 4-4200 § 11 Nr 5).
3. Die Entschädigung nach § 198 GVG stellt mangels ausdrücklicher Zweckbestimmung auch keine zweckbestimmte Einnahme im Sinne des § 11a Abs 3 SGB 2 dar.
Nachgehend
Tenor
Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Hildesheim vom 24. September 2018 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
Der Beklagte hat der Klägerin für beide Rechtszüge keine Kosten zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin wendet sich gegen einen Aufhebungs-und Erstattungsbescheid, mit dem der Beklagte die ihr für die Monate Juni bis September 2017 gewährten Leistungen aufhebt und iHv insgesamt 805,21 Euro zurückfordert. Streitig zwischen den Beteiligten ist die Anrechnung einer Entschädigung nach § 198 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) auf die Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II).
Die 1955 geborene Klägerin steht seit längerem im Leistungsbezug bei dem Beklagten. Sie lebt in einer Bedarfsgemeinschaft mit ihrem 1954 geborenen Ehemann. Auch dieser erhielt in der Vergangenheit Leistungen von dem Beklagten. Seit August 2013 wurde für ihn Pflegegeld gewährt. Seit Januar 2015 erhielt er keine Leistungen mehr von dem Beklagten, sondern Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII). Die Klägerin erhält seit 2010 Rente von der H. (I.), die auf ihren Anspruch nach dem SGB II angerechnet wird.
Zwischen den Beteiligten war in der Vergangenheit die Höhe der zu berücksichtigenden Kosten für Unterkunft und Heizung (KdUH) streitig. Nach Abschluss des vor dem Sozialgericht (SG) Hildesheim geführten Verfahren S 24 AS 1867/10 betreffend die KdUH für Juli bis Dezember 2009 erhob die Klägerin gemeinsam mit ihrem Ehemann wegen der überlangen Dauer dieses Gerichtsverfahrens Klage. In diesem Verfahren vor dem Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen (L 10 SF 7/16 EK AS) schlossen die Klägerin und ihr Ehemann mit dem J. am 24. April 2017 einen Vergleich. Das J. verpflichtete sich darin, an die Klägerin und ihren Ehemann jeweils eine Entschädigungssumme für die immateriellen Schäden iHv 2.100,00 Euro, zahlbar auf das Konto des Prozessbevollmächtigten Rechtsanwalt K., zu zahlen. Die Kosten des Rechtsstreits trugen die Kläger und das J. jeweils zur Hälfte. Zu diesem Verfahren war der Beklagte beigeladen. Der Beschluss über den Vergleich ging dem Beklagten am 27. April 2017 zu.
Der Beklagte bewilligte auf den Weiterbewilligungsantrag der Klägerin hin mit Bescheid vom 15. November 2016 in Gestalt des Änderungsbescheids vom 26. November 2016 (Anpassung der Regelbedarfsleistungen) für die Zeit von Januar bis Dezember 2017 Leistungen nach dem SGB II unter Berücksichtigung der Rente wegen voller Erwerbsminderung und wies für die Klägerin den Betrag von monatlich 206,74 Euro aus. Nachdem am 24. Juli 2017 der Bescheid der DRV über die Rentenanpassung zum 1. Juli 2017 einging, erließ der Beklagte den Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 27. Juli 2017 für die Monate Juli/August 2017 iHv je 7,25 Euro gemäß § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 3 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) und am selben Tag einen Änderungsbescheid betreffend die Monate September bis Dezember 2017. Es ergab sich nun ein monatlicher Anspruch der Klägerin iHv 199,49 Euro.
Aus den am 2. August 2017 beim Beklagten eingegangenen Kontoauszügen der Klägerin ergab sich eine Gutschrift betreffend die Entschädigung aus dem Verfahren L 10 SF 7/16 EK AS am 19. Mai 2017 iHv 3.000,00 Euro. Der Beklagte hörte daraufhin die Klägerin am 28. August 2017 zur beabsichtigten Aufhebung für den Monat Juni 2017 iHv 206,74 Euro und für die Monate Juli bis September 2017 iHv 199,49 Euro, insgesamt 805,21 Euro an. Die Klägerin habe einmaliges Einkommen iHv 3.000,00 Euro erzielt, das gemäß § 11 Abs 3 SGB II auf sechs Monate aufzuteilen sei und zum Wegfall des Anspruchs führe.
Am selben Tag erging ein Aufhebungsbescheid für die Zeit vom 1. Oktober bis 30. November 2017 mit derselben Begründung. Dieser ist Gegenstand des vor dem Senat anhängigen Verfahrens L 11 AS 1044/18.
Der Beklagte erließ am 18. September 2017 den hier streitbefangenen Aufhebungs- und Erstattungsbescheid betreffend die vollständige Leistungsaufhebung für die Monate Juni bis September 2017, stützte diesen auf § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 3 SGB II und wies darauf hin, bei der Erzielung von Einkommen komme es nicht auf...