Entscheidungsstichwort (Thema)

Rückwirkende Aufhebung von Verwaltungsakten. Ermessen. Nachzahlung von Beiträgen zur freiwilligen Krankenversicherung

 

Orientierungssatz

Im Rahmen der Ermessungsprüfung nach § 45 Abs 2 S 1 SGB 10 ist Interesse des Betroffenen an der Rücknahme des Widerspruchsbescheides mit dem öffentlichen Interesse an der Beitragszahlung abzuwägen. Bei der Ermessensausübung sind solche Gesichtspunkte erheblich, die erkennbar für das Vorliegen einer Ausnahme von der bereits im Gesetz zum Ausdruck gebrachten Interessenabwägung sprechen. Dazu gehören zB grobes Verschulden der Behörde ohne Verschulden des Betroffenen oder besondere Härte oder Unverhältnismäßigkeit der Rückforderung. Die Behörde darf in der Regel aus öffentlichen Interessen zu einer Rücknahme kommen, da die Herstellung rechtmäßiger Zustände eine hohe Priorität genießt (vgl § 76 Abs 2 SGB 4). Der Betroffene muss die für die Ermessensausübung berücksichtigungsfähigen Tatsachen im Widerspruchsverfahren vorgetragen haben (vgl BSG vom 26.9.1990 - 9b/7 RAr 30/89 = BSGE 67, 232 = SozR 3-4100 § 155 Nr 2 und vom 25.1.1994 - 4 RA 16/92 = SozR 3-1300 § 50 Nr 16).

 

Nachgehend

BSG (Beschluss vom 21.09.2010; Aktenzeichen B 12 KR 17/10 B)

 

Tenor

Die Berufung wird zurückgewiesen.

Die Beteiligten haben einander außergerichtliche Kosten nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Streitig ist die Nachzahlung von Beiträgen zur Krankenversicherung.

Der 1930 geborene Kläger war seit August 1965 bis zu seinem Ruhestand 1994 Verwaltungsangestellter bei der Beklagten. Er bezieht im Ruhestand eine Rente der gesetzlichen Rentenversicherung, monatliche Versorgungsleistungen der VBL, monatliche Versorgungsleistungen von der Beklagten und ein von der Beklagten einmal jährlich im November gezahltes Weihnachtsgeld. Seit 1. Mai 1994 war er freiwilliges Mitglied der Beklagten und in die Beitragsklasse F 120 eingestuft. Ab 1. April 2002 ist der Kläger in der Krankenversicherung der Rentner (KVdR) versichert.

In den Jahren 1997 bis 2000 führte die Beklagte jeweils Einkommensanfragen durch und erhob die monatlichen Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung nach der jeweilig gültigen Beitragsstufe (Einstufungsbescheide vom 6. Oktober 1997 und 18. Oktober 2000) Mit Schreiben vom 12. Oktober 2001 wies die Beklagte den Kläger darauf hin, dass im Rahmen einer Betriebsprüfung aufgefallen sei, dass er bei den Einkommensanfragen keine Angaben zu dem Weihnachtsgeld gemacht habe und bat um Kopien der Gehaltsmitteilungen. Nachdem der Kläger diese trotz Erinnerung nicht übersandt hatte, ermittelte die Beklagte die Höhe des in den Jahren 1994 bis 2001 jeweils im November ausgezahlten Weihnachtsgeldes in ihrer Personalverwaltung und stufte den Kläger mit Bescheiden vom 30. Oktober 2001 und 1. November 2001 ab 1. Dezember 1996 in der Kranken- und Pflegeversicherung neu ein.

Mit Bescheid vom 1. November 2001 forderte die Beklagte rückwirkende Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung vom 1. Dezember 1996 bis 30. September 2001 in Höhe von insgesamt 3.103,18 DM (1.587,-- €) nach.

Hiergegen erhob der Kläger mit Schreiben vom 28. November 2001 Widerspruch, in dem er darauf hinwies, dass er immer die Veränderungen bei der Rente durch die BfA sowie beim Ruhegeld mitgeteilt habe. Er sei davon ausgegangen, dass die Beklagte die Beitragseinstufung in der richtigen Höhe vornehmen werde. Es befremde ihn, dass nach siebenjähriger freiwilliger Mitgliedschaft die Einstufung jetzt fehlerhaft sein solle.

Die Beklagte wies den Widerspruch des Klägers mit Widerspruchsbescheiden vom 12. Juni 2002 zurück. Sie führte zur Begründung aus, dass die Beitragsnachforderung rechtmäßig sei. Nach § 240 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) werde die Beitragsbemessung von freiwilligen Mitgliedern durch die Satzung geregelt. Dabei sei sicher zu stellen, dass die Beitragsbelastung die gesamte wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des freiwilligen Mitglieds berücksichtige. Nach der Satzung seien mindestens die Einnahmen des freiwilligen Mitgliedes zu berücksichtigen, die bei einem vergleichbaren versicherungspflichtig Beschäftigten der Beitragsbemessung zugrunde zu legen seien. Dazu gehörten alle Einnahmen und Geldmittel, die zum Lebensunterhalt verbraucht würden oder verbraucht werden könnten, ohne Rücksicht auf ihre steuerliche Behandlung. Die ursprünglichen Beitragsbescheide vom 6. Oktober 1997 und 18. Oktober 2000 seien rechtswidrig, da sie lediglich die monatlichen Bruttoeinkünfte ohne das jeweilige Weihnachtsgeld berücksichtigten. Diese seien konkludent durch die Beitragsbescheide vom 30. Oktober 2001 und 1. November 2001 aufgehoben worden.

Die Rücknahme rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakte richte sich nach § 45 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X). Danach könne ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit u.a. zurückgenommen werden, soweit der Verwaltungsakt auf Angaben beruhe, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher...

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