Entscheidungsstichwort (Thema)
Abgrenzung der abhängigen Beschäftigung von der selbständigen Tätigkeit bei einem gastspielverpflichteten Schauspieler
Orientierungssatz
1. Bei der Abgrenzung der abhängigen Beschäftigung von der selbständigen Tätigkeit ist entscheidend darauf abzustellen, ob der Betreffende eine Tätigkeit nach Weisungen und eingegliedert in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers verrichtet oder ob er andererseits seine Tätigkeit frei gestaltet und seine Arbeitszeit frei bestimmt. Eine selbständige Tätigkeit ist regelmäßig durch ein Unternehmerrisiko gekennzeichnet.
2. Ein gastspielverpflichteter Schauspieler ist nur an den einzelnen Vorstellungstagen in vollem Umfang in die Arbeitsorganisation seines Arbeitgebers eingegliedert. Mit seiner Ortsabwesenheit zwischen den Vorstellungsterminen fehlt es an der für die Annahme eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses erforderlichen Weisungsunterworfenheit.
3. Der Kontinuität des sozialversicherungsrechtlichen Schutzes nach § 7 Abs. 3 SGB 4 bedarf der gastspielverpflichtete Künstler nicht, weil er in den Zwischenzeiträumen zwischen einzelnen Vorstellungen zur Annahme weiterer Engagements mit daraus folgender Sozialversicherungspflicht in die Lage versetzt wird.
4. Die Frage des Vorliegens eines sozialversicherungspflichtigen abhängigen Beschäftigungsverhältnisses ist als unbestimmter Rechtsbegriff von den Gerichten uneingeschränkt überprüfbar.
Tenor
Die Berufung wird zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt die Kosten auch des Berufungsverfahrens einschließlich der notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin. Im Übrigen findet eine Kostenerstattung nicht statt.
Der Streitwert wird festgesetzt auf 1.346,20 €.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um eine Beitragsnachforderung der Beklagten gegen die Klägerin als Trägerin eines Stadttheaters für sogenannte gastspielverpflichtete Künstler, vorliegend betreffend den Beigeladenen zu 1. als Schauspieler. Streitig ist, ob ein durchgängiges abhängiges Beschäftigungsverhältnis und damit einhergehende Sozialversicherungspflicht nur für die Zeit der Proben bis einschließlich der Premiere, oder auch durchgängig von der Premiere bis zum Zeitpunkt der letzten Vorstellung (so: die Beklagte) oder (so: die Klägerin) nur an den einzelnen Tagen der Vorstellung besteht.
Die Klägerin betreibt ein Stadttheater in J.. Sie verpflichtet u.a. gastspielverpflichtete Künstler. In den Jahren 2003/2004 verpflichtete sie u.a. den Beigeladenen zu 1. als Schauspieler, wohnhaft in K.. Nach dem (1.) Gastspielvertrag der Klägerin mit dem Beigeladenen zu 1. vom 11. Juni 2003 (Hauptmann von Köpenick) waren die Probenzeit für die Dauer vom 25. August bis zum 27. September 2003, die Premiere am 27. September 2003 und 5 Vorstellungstermine in den nächsten ca. 2 Monaten vorgesehen. Nach dem weiteren, ebenfalls von der Klägerin mit dem Beigeladenen zu 1. geschlossenen (2.) Gastspielvertrag (Herr Puntila und sein Knecht Matti) waren die Zeit der Proben vorgesehen für die Dauer vom 2. Januar bis zum 14. Februar 2004, die Premiere für den 14. Februar 2004, und 7 Vorstellungstermine in den nächsten ca. 2 Monaten.
Nach einer Ende 2004/Anfang 2005 durchgeführten Betriebsprüfung erließ die Beklagte den hier angefochtenen Bescheid vom 1. Februar 2005, mit dem sie rückständige Sozialversicherungsbeiträge von der Klägerin in Höhe von ca. 39.000,-- € forderte. Zur Begründung führte sie u.a. aus, dass die sogenannten gastspielverpflichteten Künstler im Zeitraum nach der Premiere nicht lediglich - wie von der Klägerin gemeldet - an den einzelnen Vorstellungstagen, sondern im Gesamtzeitraum bis einschließlich zum letzten Vorstellungstag durchgängig (jeden Tag) der Sozialversicherungspflicht unterfielen. Dies ergebe sich aus dem Besprechungsergebnis der Spitzenverbände der Sozialversicherung über Fragen des gemeinsamen Beitragseinzugs vom 16./17. November 1999 und 27./27. Juni 2002. Durch die von der Klägerin fehlerhaft zugrunde gelegte Berechnungsweise werde die sozialversicherungsrechtlich maßgebliche Beitragsbemessungsgrenze auf nur jeweils einen Tag, den Vorstellungstag, begrenzt, so dass deutlich zu niedrige Sozialversicherungsbeiträge gegenüber der richtig zu Grund zu legenden monatlichen Beitragsbemessungsgrenze abgeführt würden.
Die Klägerin erhob Widerspruch und machte geltend: Zum Einen seien Besprechungsergebnisse der Spitzenverbände der Sozialversicherung bloße Handlungsempfehlungen, also keine Rechtsetzungsakte, weshalb sie nicht rechtlich bindend für die Bemessung von Sozialversicherungsbeiträgen sein könnten. Zum Zweiten lasse sich die Sichtweise der Beklagten auch nicht mit den tatsächlichen Abläufen der Verpflichtung gastspielverpflichteter Künstler in Übereinstimmung bringen. Denn im Anschluss an die Probenzeit einschließlich der Premiere träten die Künstler nur dann mit der Bühne in Kontakt, wenn Vorstellungstermin sei. In der vorstellungsfreien Zeit spielten die Schauspieler entweder in einem festen Ensemble...