Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Versorgung mit einer LDL-Apherese bei isolierter Lp(a)-Erhöhung. Votum der Apherese-Kommission. keine rechtliche Bindung. im gerichtlichen Verfahren überprüfbar. Nichtvorliegen der medizinischen Voraussetzungen. kein Ermessen. Nichtvorliegen oder adäquate Behandlung aller anderen lipidologischen Risikofaktoren
Leitsatz (amtlich)
1. Zum Anspruch auf Versorgung mit einer LDL-Apherese bei isolierter Lp(a)-Erhöhung nach Ziffer 1 § 3 der Anlage I der Richtlinie Methoden vertragsärztliche Versorgung (juris: MVVRL).
2. Um das Votum der beratenden Kommission der Kassenärztlichen Vereinigung (Apherese-Kommission), dem eine rechtliche Bindung nicht zukommt (vgl LSG Celle-Bremen vom 15.11.2022 - L 16/4 KR 536/19 = NZS 2023, 300; Revision anhängig BSG - B 1 KR 40/22 R), zu entkräften, bedarf es gewichtiger Gründe.
3. Bei Vorliegen solcher Gründe ist die Entscheidung der Kommission im gerichtlichen Verfahren durch die Einholung von Sachverständigengutachten überprüfbar.
4. Im zu entscheidenden Fall lagen zum maßgeblichen Zeitpunkt der Befürwortung durch die Apherese-Kommission die medizinischen Voraussetzungen des § 3 Abs 2 der Anlage I (isolierte Lp(a)-Erhöhung, LDL im Normbereich) nicht vor.
5. Bei der Prüfung der Voraussetzungen des § 3 Abs 2 wird der Apherese-Kommission kein Ermessen im Sinne einer Gesamtbetrachtung eröffnet, die Formulierung "können nur" beinhaltet vielmehr eine Restriktion.
6. Von einer isolierten Lp(a)-Erhöhung ist unter Berücksichtigung der tragenden Gründe zum Beschluss des GBA vom 19.6.2008 dann auszugehen, wenn alle anderen lipidologischen Risikofaktoren entweder nie vorlagen oder adäquat behandelt worden sind.
Tenor
Der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Hannover vom 12. Mai 2020 wird aufgehoben und die Klage abgewiesen.
Kosten werden nicht erstattet.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Kostenübernahme für die Versorgung des Klägers mit einer extrakorporalen Lipid-Apherese.
Im Mai 2016 fielen dem 1960 geborenen Kläger blaue Zehen auf mit Schmerzen in den Füßen. Nach stationärer Aufnahme am 11. Mai 2016 wurde eine ausgeprägte Stenose der distalen Aorta abdominalis diagnostiziert, die im Anschluss mit einer sogenannten aortoiliakalen Y-Prothese operativ versorgt wurde zur Wiederherstellung der Durchblutung der unteren Extremitäten. Am 30. November 2016 erlitt der Kläger einen Hinterwandinfarkt, der letztendlich zu einer Bypassoperation führte. Im März 2017 ereignete sich ein erneuter nicht-transmuraler Herzinfarkt. Kardiologisch zeigte sich eine Wandverdickung der linken Herzkammer als Ausdruck eines Hochdruckherzens. Der Kläger erhält seit Sommer 2018 fortlaufend eine Lipid-Apherese- Behandlung (Schriftsatz der Beklagten vom 9. November 2020).
Am 12. Februar 2018 beantragte der behandelnde Arzt für den Kläger bei der Kassenärztlichen Vereinigung Niedersachsen (KVN) die Genehmigung zur Lipid-Apherese. Bei dem Kläger sei seit 2016 eine Fettstoffwechselstörung bekannt mit schwerer diffuser Atherosklerose. Das Lipoprotein a ≪Lp(a)≫ wurde mit 206 mol/l angegeben; das LDL mit 118 mg/dl und die Triglyceride mit 195 mg/dl.
Mit Schreiben vom 16. Februar 2018 setzte die KVN die Beklagte davon in Kenntnis, dass der Facharzt für Innere Medizin und Nephrologie Dr J. (Medizinisches Versorgungszentrum -K.) für den Kläger einen Antrag auf Genehmigung zur Durchführung der Apherese gestellt habe. Es handele sich um einen Erstantrag. Unter dem 8. März 2018 teilte die KVN der Beklagten mit, dass die Apherese Kommission die Indikation zur Apherese gestellt und die Behandlung und Durchführung befürwortet habe. Die antragstellende Praxis sei über das Ergebnis mit dem Hinweis informiert worden, dass die Behandlung erst nach Vorlage des Leistungsbescheides durchgeführt werden könne.
Die Beklagte teilte dem Versicherten mit, dass sie im Rahmen der Entscheidung über den Leistungsantrag noch ein Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) benötige. Der MDK kam in seiner Stellungnahme vom 27. März 2018 (Dr L., Internist/Nephrologe) zu der Beurteilung, dass der Blutdruck mit Werten von 160/80 mm Hg ebenso wie die Triglyceride mit 195 mg/dl bei einem Normwert von 150 mg/dl nicht hinreichend eingestellt seien. Auch das LDL-Cholesterin sei nicht im Leitlinienbereich der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie (DGK) bzw der Europäischen Gesellschaft für Kardiologie (ESC). Dieser liege bei 70 mg/dl und für den Kläger sei ein Wert von 118 mg/dl angegeben worden. Zudem sei der Body Maß Index (BMI) mit 32 weit oberhalb des Zielwertes gemäß der Adipositas-Leitlinie. Alle vier genannten Faktoren widersprächen den Vorgaben der Richtlinie Methoden vertragsärztliche Versorgung (Methoden-RL) Anlage I. Zudem bestünden vorliegend Therapiealternativen wie Ernährungsmedizin, Triglycerinsenkung, ausreichende Blutdruck- und LDL-Einstellung.
Mit Bescheid vom 9. April 2018 lehnte die Beklagte den Antrag auf Kostenübernahme für eine Apherese-Behandl...