Entscheidungsstichwort (Thema)
Regress wegen unzulässiger Verordnungen im Arzneimittelbereich. kein Beurteilungs- oder Ermessensspielraum der Prüfgremien. Verordnung. autologe Tumorvakzine im Rahmen der ASI-Therapie
Leitsatz (amtlich)
1. Den Prüfgremien ist bei der Festsetzung von Regressen wegen unzulässiger Verordnungen von Arzneimitteln nach strenger Einzelfallprüfung kein Beurteilungs- oder Ermessensspielraum eingeräumt. Es ist ihnen auch nicht möglich, die Regresshöhe von Verschuldensgesichtspunkten abhängig zu machen.
2. Zur Unzulässigkeit vertragsärztlicher Verordnungen von autologen Tumorvakzinen im Rahmen der sog. ASI-Therapie.
Nachgehend
Tenor
Auf die Berufung des Klägers zu 2. wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Hannover vom 02. Dezember 2003 unter Zurückweisung der hiergegen gerichteten Berufung im Übrigen geändert und wie folgt neu gefasst:
“Der Bescheid des Beschwerdeausschusses vom 09. November 2002 wird aufgehoben, soweit dort ein Regress zu Lasten des Klägers für das Quartal IV/99 festgesetzt worden ist.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Der Beklagte hat die Kosten des Klägers zur Hälfte zu erstatten. Im Übrigen sind Kosten nicht zu erstatten.„
Im Übrigen werden die Berufungen der Kläger gegen die Gerichtsbescheide des Sozialgerichts Hannover vom 18., 26. und 27. August 2003, 08. und 29. Oktober 2003 sowie vom 19. und 20. November 2003 mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass erstinstanzliche Kosten nicht zu erstatten sind.
Der Beklagte hat die Kosten des Klägers zu 2. im Berufungsverfahren zu 1/10 zu erstatten. Im Übrigen sind Kosten im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit eines Regresses in Höhe von insgesamt 153.610,58 DM (entsprechend 78.539,84 €).
Die Kläger sind als Fachärzte für innere Medizin in F. niedergelassen und nehmen an der vertragsärztlichen Versorgung teil. Bis einschließlich zum 3. Quartal 1999 waren sie in Gemeinschaftspraxis tätig; seit dem Quartal IV/99 praktizieren sie in Praxisgemeinschaft. In den Jahren 1998 und 1999 verordneten sie zu Lasten verschiedener Krankenkassen mehrfach autologe Tumorvakzine im Rahmen einer Therapie zur sog. aktiv-spezifischen Immunisierung (ASI) krebskranker Patienten. Dabei handelte es sich um Präparate, die aus körpereigenen Tumorzellen der Patienten gewonnen, von der - inzwischen nicht mehr existierenden - Herstellerfirma macropharm GmbH, Bad Schwartau, bearbeitet und anschließend den Patienten injiziert wurden. Hierdurch sollte die Immunabwehr gestärkt und der Ausbreitung von Metastasen entgegengewirkt werden. Die Verordnungen erfolgten auf vertragsärztlichen Rezeptformularen und wurden bei Apotheken in F. eingelöst.
Im Einzelnen handelte es sich um folgende Verordnungen:
Fall 1: Im Quartal II/98 verordnete die Gemeinschaftspraxis autologe Tumorvakzine für den bei der Beigeladenen zu 10. versicherten G. H.. Auf Antrag der Kasse setzte zunächst die zu 1. beigeladene Kassenärztliche Vereinigung (KV) - auf der Grundlage von § 12 Abs. 10 der im hier fraglichen Zeitraum in Niedersachsen geltenden “Vereinbarung zur Wirtschaftlichkeitsüberwachung nach § 106 SGB V„ (PrüfV) vom 24. Juni 1996 - gegenüber der Gemeinschaftspraxis eine Regressforderung in Höhe von 16.228,12 DM fest. Die verordneten Tumorvakzine gälten nicht als wissenschaftlich allgemein anerkannt und seien deshalb gemäß Abschnitt D Nr. 13 der Arzneimittelrichtlinien nicht verordnungsfähig. Auf den hiergegen am 03. August 1999 eingelegten Widerspruch der Gemeinschaftspraxis bestätigte der bei der Bezirksstelle Göttingen der Beigeladenen zu 1. eingerichtete Prüfungsausschuss den Regress mit Bescheid vom 30. September 1999. Auch der hiergegen im Oktober eingelegte Widerspruch blieb erfolglos. Der Beschwerdeausschuss bei der Bezirksstelle Göttingen der Beigeladenen zu 1. wies zur Begründung auf die Urteile des Bundessozialgerichts (BSG) vom 28. März 2000 (Az: B 1 KR 11/98 u. a.) hin, in denen der Kostenerstattungsanspruch mehrerer Patienten, die sich mit der ASI-Therapie hätten behandeln lassen, abgewiesen worden sei. Auch der Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen (nunmehr: Gemeinsamer Bundesausschuss) habe diese Therapie mit Beschluss vom 10. April 2000 den nicht anzuerkennenden Behandlungsmethoden zugeordnet. Gegen die am 29. November 2000 abgesandte Entscheidung des Beschwerdeausschusses haben die Kläger am 29. Dezember 2000 Klage vor dem Sozialgericht (SG) Hannover erhoben.
Fall 2: Zu Lasten der Innungskrankenkasse (IKK) Herzberg (nunmehr aufgegangen in der zu 11. beigeladenen Kasse) verordnete die Gemeinschaftspraxis im 2. Quartal 1998 (am 15. Juni 1998) Tumorvakzine für den Versicherten I. J.. Die Beigeladene zu 1. regressierte mit Bescheid vom 28. Juli 1999 einen Betrag in Höhe von 15.832,25 DM. Auf den am 03. August 1999 eingelegten Widerspruch der Gemeinschaftspraxis bestätigte der Prüfungsausschuss die Regressfestsetzung mit Be...