Entscheidungsstichwort (Thema)
Gesetzliche Unfallversicherung. Unfallversicherungsschutz. arbeitnehmerähnliche Tätigkeit. Handlungstendenz. Abgrenzung: Gefälligkeitshandlung. gutes nachbarschaftliches Verhältnis. gefährliche Tätigkeit. Ausästen eines Baumes. Baumfällarbeiten
Leitsatz (amtlich)
1. Das Fällen oder Ausästen eines Baumes in einigen Metern Höhe überschreitet das Maß dessen, was üblicherweise in einem nachbarschaftlichen Verhältnis gegenseitig geleistet wird mit der Folge, dass eine derartige Tätigkeit als Wie-Beschäftigung unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung nach § 2 Abs 2 S 1 SGB 7 stehen kann.
2. Für die Begründung des Versicherungsschutzes nach § 2 Abs 2 S 1 SGB 7 ist es unerheblich, ob der Verunfallte über ein konkretes (subjektives) Sonderwissen und entsprechende Fähigkeiten verfügt (entgegen SG Hamburg vom 21.9.2012 - S 40 U 232/11 = UV-Recht Aktuell 2013, 233 ).
Normenkette
SGB VII § 2 Abs. 2 S. 1, § 8 Abs. 1 S. 1, § 129 Abs. 1 Nr. 2; SGB IV § 7 Abs. 1
Tenor
Auf die Berufung des Berufungsklägers werden das Urteil des Sozialgerichts Braunschweig vom 21. Mai 2012 und der Bescheid des Berufungsbeklagten vom 27. November 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03. Juni 2010 aufgehoben.
Es wird festgestellt, dass es sich bei dem Unfallereignis vom 13. Mai 2008 um einen Arbeitsunfall im Sinne der gesetzlichen Unfallversicherung gehandelt hat.
Der Berufungsbeklagte hat dem Berufungskläger seine notwendigen außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Anerkennung eines Arbeitsunfalls nach den Vorschriften des Siebten Buches Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Unfallversicherung - (SGB VII).
Der am 09. Juli 1958 geborene Kläger und Berufungskläger war 22 Jahre bei den kommunalen C. Entwässerungsbetrieben beschäftigt. Zu den Arbeitsaufgaben des Berufungsklägers gehört unter anderem das Reinigen von Schächten und Gräben und das Fällen und Auslichten von Bäumen. Seit 1993 wohnt er in D. (ca. 2.500 Einwohner) im Landkreis E.. Die 79 Jahre alte Zeugin, Frau F. G., ist seitdem seine Nachbarin.
Die Zeugin G. wollte eine auf ihrem ca. 1.000 qm großen Grundstück befindliche etwa sechs Meter hohe Tanne fällen lassen, weil sie der Meinung war, dass der Baum zu hoch geworden sei. Hiervon erzählte sie dem Berufungskläger, der sich spontan bereit erklärte, diese Arbeiten auszuführen, wenn er Zeit dazu habe.
Am Morgen des Unfalltages, dem 13. Mai 2008, kam der Berufungskläger zu der Zeugin G. an den Zaun, als diese gerade mit Gartenarbeiten beschäftigt war. Sie unterhielten sich über das Fällen der Tanne und der Berufungskläger erklärte, dass er die Arbeiten gerne an diesem Tage ausführen wolle. Da sie selbst keine Feuerstelle hat, bot die Zeugin G. dem Berufungskläger an, dass er das Holz mitnehmen und für seine Feuerstelle verwenden könne.
Zum Fällen des Baumes hatte der Berufungskläger eine Säge und ein Sicherungsseil von seiner Arbeitsstelle mitgebracht. Für den Aufstieg auf den Baum benutzte er eine Leiter, die ihm von der Zeugin G. zur Verfügung gestellt wurde, weil er eine Leiter in dieser Größe nicht zur Verfügung hatte. Die Zeugin widmete sich während der Baumfällarbeiten des Berufungsklägers weiterhin ihrer Gartenarbeit. Der Berufungskläger stieg in den Baum und wollte ihn vor dem Fällen zunächst auslichten, um die in der Umgebung vorhandenen Pflanzen nicht zu beschädigen. Bei dem Aufstieg in den Baum sicherte er sich mit einem Seil und einem Karabinerhaken. Bei der Durchführung dieser Arbeiten sägte der Berufungskläger versehentlich das Sicherungsseil durch und fiel auf den Boden, wobei er sich erhebliche Verletzungen zuzog, unter anderem eine inkomplette Querschnittslähmung.
Mit Schreiben vom 13. Mai 2009 meldete die AOK Niedersachsen bei dem Beklagten und Berufungsbeklagten einen Erstattungsanspruch nach § 111 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - an. Daraufhin erfragte der Berufungsbeklagte bei dem Berufungskläger und der Zeugin nähere Einzelheiten zu dem Unfallereignis (Fragebögen vom 09. Juni 2009, 29. Juni 2009 und 12. August 2009). Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Inhalte der ausgefüllten Fragebögen Bezug genommen (Bl. 13 ff., 21 ff. und 37 der Verwaltungsakte).
Mit Bescheid vom 27. November 2009 lehnte der Berufungsbeklagte die Anerkennung des Unfallereignisses vom 13. Mai 2008 als Arbeitsunfall ab, weil der Berufungskläger nicht als Wie-Beschäftigter tätig geworden sei. Es habe sich um eine reine Gefälligkeitsleistung gehandelt.
Dagegen legte der Berufungskläger unter dem 17. Dezember 2009 Widerspruch ein, der mit Widerspruchsbescheid vom 03. Juni 2010, zugegangen am 07. Juni 2010, zurückgewiesen wurde.
Hiergegen hat der Berufungskläger am 07. Juli 2010 Klage zum Sozialgericht (SG) Braunschweig erhoben.
Das SG hat im Termin zur mündlichen Verhandlung am 21. Mai 2012 den Berufungskläger angehört und im Übrigen Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugin G.. Wegen der wei...