Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Kostenerstattungsanspruch bei nichtvorliegender Bösgläubigkeit. Leistungserbringung durch nicht-ärztlichen Leistungserbringer. Erforderlichkeit der Einhaltung des Arztvorbehalts
Orientierungssatz
Über das Nichtvorliegen einer Bösgläubigkeit im Sinne des § 13 Abs 3a SGB 5 hinaus ist es eine zusätzliche Voraussetzung für einen Kostenerstattungsanspruch nach dieser Norm, dass der Arztvorbehalt gem § 15 Abs 1 SGB 5 eingehalten wird, also keine Kostenerstattung bezüglich der Leistungserbringung durch einen nicht-ärztlichen Leistungserbringer begehrt wird (hier: Orthonyxie-Behandlung durch Kosmetik-Studio).
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Hildesheim vom 8. November 2021 wird zurückgewiesen.
Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Kostenerstattung sowie Kostenübernahme für Orthonyxie -Behandlungen (Anfertigung von Nagelkorrekturspangen) bei der Klägerin seit 2018/2021 (Neuregelung durch Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses ab 1. Juli 2022).
Die im Jahr 1957 geborene Klägerin ist bei der Beklagten gesetzlich krankenversichert. Sie leidet - neben erkrankten Fußnägeln/“Rollnägeln“ - an einem Morbus Sudeck (komplexes regionales Schmerzsyndrom, engl. complex regional pain syndrome, CRPS ).
Am 19. Juli 2018 beantragte die Klägerin bei der Beklagten unter Vorlage einer ärztlichen Verordnung (Facharzt für Allgemeinmedizin vom 5. Juli 2018) die Kostenübernahme für die Anfertigung von Nagelkorrekturspangen nach beigefügtem Kostenvoranschlag in Höhe von 430,20 €.
Mit Bescheid vom 12. November 2018 lehnte die Beklagte den Antrag ab, den Widerspruch wies sie mit Widerspruchsbescheid vom 21. März 2019 zurück. Die Behandlung von Hautdefekten und Entzündungen sowie von eingewachsenen Zehennägeln könne nur durch Vertragsärzte durchgeführt und nicht auf nichtärztliche Leistungserbringer wie zB Podologen oder medizinische Fußpfleger delegiert werden. Zudem sei eine Orthonyxie -Behandlung nicht als Maßnahme der podologischen Therapie als Heilmittel verordnungsfähig. Etwas anderes ergebe sich auch nicht aus vorheriger Kostenübernahme im Einzelfall. Im Übrigen habe auch das Bundessozialgericht (BSG) mit Urteil vom 18.12.2018 (B 1 KR 34/17 R) entschieden, dass die Versicherten lediglich Anspruch auf (vertrags-)ärztliche Behandlung, nicht aber auf podologische Behandlung als vertragsärztlich verordnetes Heilmittel hätten.
Mit ihrer hiergegen am 15. April 2019 erhobenen Klage vor dem Sozialgericht (SG) Hildesheim hat die Klägerin geltend gemacht, sie leide an chronischen Rollnägeln und benötige eine Nagelspangenbehandlung. Im Jahre 2015 habe sie von der Beklagten auf ihren Widerspruch eine Nagelspangenbehandlung als gKV-Leistung erhalten. Diese und weitere zwischenzeitliche, von ihr selbst beschaffte Versorgungen hätten jeweils gute Behandlungsergebnisse erzielt. Eine operative Versorgung sei auf Grund ihres Erkrankungsbildes medizinisch kontraindiziert. Trotz ausführlicher Bemühungen könne die Klägerin keinen ärztlichen Leistungserbringer für die Durchführung einer Orthonyxie -Behandlung finden. Ihr Anspruch resultiere deshalb aus Systemversagen. Nach der diesbezüglichen Rechtsprechung des BSG könne sie nunmehr einen Privatarzt in Anspruch nehmen.
Während des erstinstanzlichen Klageverfahrens hat sich die Klägerin die begehrte Leistung selbst verschafft, in einem Kosmetikstudio in den Monaten August bis Oktober 2021 mit einem Gesamtaufwand von 340 €.
Das SG hat die Klage mit Urteil vom 8. November 2021 abgewiesen und zur Begründung ausgeführt:
Der Anspruch auf vertragsärztliche Behandlung nach § 27 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) stehe unter dem Arztvorbehalt des § 15 Abs. 1 Satz 1, § 28 Abs. 1 SGB V. Nach der Rechtsprechung des BSG gelte der Arztvorbehalt gerade auch im Bereich podologischer Behandlungen und dürfe der Leistungserbringer - der Orthonyxie -Behandlung - ausschließlich entweder ein Vertragsarzt oder eine unselbstständige Hilfsperson des Vertragsarztes sein (BSG, Urteil vom 18.12.2018, B 1 KR 34/17 R). Auch ein Anspruch auf Heilmittel-Versorgung bestehe für die Klägerin nicht, denn nach den Heilmittel-Richtlinien sei die podologische Therapie nur bei einem diabetischen Fußsyndrom verordnungsfähig. Schließlich liege auch kein Systemversagen vor, wie das BSG bereits ausdrücklich zur Behandlung bei Heilpraktikern entschieden habe. Es handele sich bei dem Erfordernis, im berufsrechtlichen Sinn Arzt zu sein, nicht bloß um eine spezifisch leistungserbringungsrechtliche Voraussetzung, die im Falle eines Systemversagens verzichtbar wäre, sondern um eine vom SGB V als zwingende berufliche Mindestqualifikation aufgestellte Tatbestandsvoraussetzung für den Behandlungsanspruch (vgl zum Ausschluss einer als Heilpraktikerin tätigen, nicht approbierten Diplompsychologin aus dem gKV-Leistungserbringerrecht: BSG, Urteil vom 13.12.2016 - B 1 KR 4/16 R - ...