Entscheidungsstichwort (Thema)
Vertragsärztliche Versorgung. Regress wegen Heilmittelverordnung. Vereitelung einer notwendigen Genehmigung einer Heilmittelversorgung außerhalb des Regelfalls. unzutreffende Kennzeichnung als Folgeverordnung
Leitsatz (amtlich)
Ein Vertragsarzt, der die notwendige Genehmigung einer Heilmittelversorgung außerhalb des Regelfalls durch die Krankenkasse vereitelt hat, weil er die Verordnungen lediglich als Folgeverordnung gekennzeichnet hat, muss der Kasse den Schaden ersetzen, der sich aus der unberechtigten Bezahlung der Heilmittelerbringer ergibt.
Nachgehend
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 13. Januar 2021 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt auch die Kosten des Berufungsverfahrens mit Ausnahme der Kosten der Beigeladenen, die diese selbst tragen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird auf 10.173,75 Euro festgesetzt.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit eines gegen den Kläger verhängten Regresses wegen der Verordnung von Heilmitteln in den Quartalen I bis IV/2011.
Der Kläger ist Facharzt für Hals-Nasen-Ohren-(HNO-)Heilkunde und nimmt mit Praxissitz in K. an der vertragsärztlichen Versorgung teil. Im Jahr 2011 stellte er für seine bei der Beigeladenen zu 2. versicherten Patienten L. M.. (Diagnose: Zustand nach Apoplex) und N. O.. (Apoplex mit motorischer Aphasie) je sieben Verordnungen über jeweils 10 Maßnahmen der Sprechtherapie aus. Für die Versicherten der Beigeladenen zu 2. P. Q.. (Zustand nach Apoplex) und R. S.. (Diagnose: frühkindlicher Hirnschaden) erfolgten 2011 jeweils vier Verordnungen über je 10 Maßnahmen der Sprachtherapie. In allen Verordnungen war das Feld „Folgeverordnung“ angekreuzt, eine medizinische Begründung der Verordnungen war nicht beigefügt. Für L. M.. und N. O.. hatte der Kläger jeweils im Jahr 2010 in sieben Verordnungen insgesamt schon 70 Maßnahmen der Sprechtherapie verordnet. Für P. Q.. und R. S.. hatte er im selben Jahr jeweils mit sechs Verordnungen bereits insgesamt 60 Maßnahmen der Sprachtherapie veranlasst.
Alle verordneten Heilmittel wurden von entsprechenden Leistungserbringern erbracht und mit der Beigeladenen zu 2. abgerechnet. Ausgenommen war die Versicherte L. M.., die im September 2011 verstorben war und deshalb auf die Verordnung vom 23. August 2011 nur sechs der verordneten Sprechtherapie-Maßnahmen erhalten konnte.
Am 30. Januar 2013 beantragte die Beigeladene zu 2. bei der Prüfungsstelle Niedersachsen gegen den Kläger die Festsetzung eines Schadens iHv 10.173,75 Euro. Zur Begründung machte sie geltend, bei dem jeweils angegebenen Indikationsschlüssel sei die Höchstverordnungsmenge innerhalb des Regelfalls überschritten worden, die Verordnung sei deshalb außerhalb des Regelfalls ausgestellt worden und hätte von der Krankenkasse genehmigt werden müssen. Bei einigen Verordnungen seien Änderungen und Ergänzungen ohne erneute Arztunterschrift mit Datumsangabe erfolgt bzw der Indikationsschlüssel stehe nicht in Übereinstimmung mit der angegebenen Diagnose.
Der Kläger gab in seiner Stellungnahme vom 21. März 2013 an, bei allen Verordnungen habe es sich „selbstverständlich um Verordnungen ‚außerhalb des Regelfalls‘“ gehandelt und es sei vergessen worden, das Kreuz bei dieser Rubrik zu setzen. Außerdem sei ihm mit Schreiben der Beigeladenen zu 2. vom 19. Dezember 2012 mitgeteilt worden, dass diese seit dem 1. Juli 2004 das Genehmigungsverfahren für Verordnungen außerhalb des Regelfalls nicht mehr als erforderlich ansehe.
Die Prüfungsstelle setzte mit Bescheid vom 6. Mai 2014 den beantragten Regress fest und bejahte zur Begründung alle von der Beigeladenen zu 2. geltend gemachten Verstöße gegen die Heilmittel-Richtlinie (HeilM-RL).
Hiergegen hat der Kläger mit Schriftsatz vom 21. Mai 2014 Klage erhoben, die am 26. Mai 2014 beim Sozialgericht (SG) Hannover eingegangen ist. Der angefochtene Bescheid sei rechtswidrig, weil die medizinische Indikation und die zwingende Notwendigkeit der verordneten Heilmittel nach Ausschöpfen der für den Regelfall vorgesehenen Verordnungsmenge unstreitig gegeben gewesen seien. Ein angebliches Fehlen der Möglichkeit der Krankenkasse, die Verordnungen zu prüfen, könne deshalb nicht als Argument für einen Regress herangezogen werden. Selbst wenn er das Kreuz an der Stelle „außerhalb des Regelfalls“ gesetzt hätte, wäre die Krankenkasse nach Prüfung der Verordnung zwingend zum Schluss gekommen, dass die Folgeverordnung genehmigt werde. Es sei unverhältnismäßig, dass der Vertragsarzt wegen eines Formverstoßes Schadensersatz an die Krankenkasse zahlen müsse, obwohl tatsächlich kein wirtschaftlicher Schaden entstanden sei. Inhaltlich handele es sich bei der Verordnung für den Patienten P. Q.. nicht um Sprachtherapie, sondern um Sprechtherapie. Soweit in Hinblick auf die handschriftlichen Eintragungen und den angegebenen Diagnoseschlüssel ein formelles Versehen vorg...