Entscheidungsstichwort (Thema)
Gesetzliche Unfallversicherung. Wegeunfall. dritter Ort. sachlicher Zusammenhang. Handlungstendenz. privatwirtschaftliche Verrichtung. Reifenwechsel. privatwirtschaftlicher Grund für den Aufenthalt
Orientierungssatz
Tritt eine Arbeitnehmerin ihren Weg zur Betriebsstätte von der Wohnung ihres ehemaligen Partners - einem sog dritten Ort - an, nachdem sie dort die Sommerreifen aufgezogen und andere private Gegenstände abgeholt hatte, steht sie mangels Vorliegens des inneren Zusammenhangs mit der versicherten Tätigkeit nicht gem § 8 Abs 2 Nr 1 SGB 7 unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung.
Nachgehend
Tenor
Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 19. Januar 2015 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten einander in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Klägerin auf dem Weg zur Arbeitsstelle einen Arbeitsunfall erlitten hat.
Der Beklagte erhielt am 3. Mai 2012 Kenntnis darüber, dass sich die 1963 geborene und als Angestellte tätige Klägerin eine Rippenserienfraktur der 5. bis 9. Rippe rechts sowie der 3. bis 6. Rippe links, eine vordere und hintere Beckenringfraktur sowie mehrfache Abschürfungen und Prellungen zugezogen habe und deshalb eine Verordnung zur Durchführung einer besonderen berufsgenossenschaftlichen stationären Weiterbehandlung (BGSW) erforderlich sei (Verordnung einer BGSW durch Dr. D., E., F.).
Der Beklagte forderte hierauf zunächst einen Durchgangsarztbericht (DAB) an, der am 7. Mai 2012 von Dr. D. erstattet wurde. Dieser gab zum Unfallhergang an, dass die Klägerin als angeschnallte PKW-Fahrerin in einen Verkehrsunfall verwickelt worden sei. Sie sei rechts frontal von einem PKW erfasst worden.
Der Beklagte hatte sich vor Eingang des DAB hinsichtlich der Genehmigung der BGSW bereits mit der Klägerin telefonisch in Verbindung gesetzt und diese zum Unfallhergang befragt. Dem hierzu erstellten Vermerk vom 7. Mai 2012 ist zu entnehmen, dass die Klägerin angegeben habe, am Unfalltag nicht von ihrer Wohnung aus zu ihrer Arbeitsstätte bei der Firma G., H., gefahren zu sein, sondern von ihrem in I. wohnhaften Freund. Von dort aus fahre sie des Öfteren zur Arbeit. Der Unfall habe sich gegen 7 Uhr in einem Kreuzungsbereich ereignet. Der Klägerin sei mitgeteilt worden, dass geprüft werde, ob Versicherungsschutz bestehe. Dessen ungeachtet sei die BGSW genehmigt worden.
Der Beklagte ermittelte eine Wegstrecke vom Wohnort der Klägerin zur Arbeitsstelle von 28,4 km, die von ihrem Freund aus gefahrene Wegstrecke habe 123 km betragen. Anschließend befragte er die Klägerin mit Schreiben vom 14. Mai 2012 zu den genauen Umständen des Aufenthaltes bei ihrem Freund.
Die Klägerin wandte sich am 18. Mai 2012 und 29. Mai 2012 nochmals telefonisch an den Beklagten und teilte mit, dass es sich nicht um ihren Freund, sondern ihren “Ex-Freund„ handele. Am Abend vor dem Unfall habe sie ihre letzten Sachen holen wollen. Zudem habe ihr Ex-Freund die Sommerreifen aufgezogen. Da dies alles länger gedauert habe, sei sie über Nacht geblieben. Früher sei sie den Weg öfter gefahren (Vermerke vom selben Tag).
Ergänzend teilte die Klägerin dem Beklagten zur Anfrage vom 14. Mai 2012 schriftlich mit, dass sie im Jahr 2011 des Öfteren von der Wohnung ihres Freundes zur Arbeit gefahren sei, im Jahr 2012 lediglich am 27. April 2012, weil es ihr Ex-Freund sei; sie hätten sich Mitte Dezember 2011 getrennt. Sie sei bei ihrem Freund nicht offiziell gemeldet gewesen. Sie nutze nur ihre eigene Wohnung. Ihre Kleidung befinde sich in ihrer Wohnung, wo sie auch wasche.
Mit Bescheid vom 11. Juni 2012 lehnte der Beklagte die Gewährung von Entschädigungsleistungen mit der Begründung ab, dass die Klägerin sich zum Unfallzeitpunkt nicht auf einem nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Unfallversicherung (SGB VII) versicherten Weg befunden habe. Um einen Versicherungsschutz nach dem “dritten Ort„ anerkennen zu können, müsse dieser Weg im angemessenen Verhältnis zum üblichen Weg des Versicherten stehen. Zusätzlich sei das Motiv für den Aufenthalt am dritten Ort zu berücksichtigen; Zwecke des allgemeinen privaten Interesses, des Vergnügens und der allgemeinen Erholung stünden der Aufnahme und Leistung der versicherten Tätigkeit weniger nahe. Die Klägerin habe mitgeteilt, dass sie am 26. April 2012 aus rein privaten Gründen die Wohnung ihres ehemaligen Freundes aufgesucht habe. Nach der Trennung im Jahre 2011 habe sie aus konkretem Anlass die Wohnung des Ex-Freundes aufgesucht, um ihre persönlichen Sachen abzuholen. Auch die Sommerreifen seien noch dort aufbewahrt gewesen. Diese habe der Ex-Freund noch am Abend auf ihr Auto aufgezogen. Weil es dann zu spät geworden sei, habe die Klägerin sich entschieden, die Nacht bei ihm in Espelkamp zu verbringen. Hierbei habe es sich eindeutig ...