Entscheidungsstichwort (Thema)

Krankenversicherung. Apotheke. Arzneimittellieferungsvertrag. Regelung über Ausschlussfrist für Vergütungsansprüche ohne Ausnahmetatbestände. Verstoß gegen höherrangiges Recht

 

Orientierungssatz

Eine Regelung eines Arzneimittellieferungsvertrages nach § 129 Abs 5 SGB 5 zwischen einem Landesapothekerverband und mehreren Krankenkassen verstößt gegen höherrangiges Recht, wenn sie eine Ausschlussfrist für Vergütungsansprüche ohne Ausnahmetatbestände vorsieht.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 03.07.2012; Aktenzeichen B 1 KR 16/11 R)

 

Tenor

1. Der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Hannover vom 27. September 2009 wird teilweise aufgehoben.

2. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 1.429,17 Euro nebst 5 % Zinsen über den Basiszinssatz hierauf seit dem 18. Dezember 2008 zu zahlen.

3. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

4. Der Kläger trägt die Verfahrenskosten zu 1/3, die Beklagte zu 2/3.

5. Der Streitwert beträgt 2.047,97 Euro.

6. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Der Kläger wendet sich als Inhaber einer Apotheke gegen die nachträgliche Beanstandung von ihm abgerechneter Arzneimittel-Vergütungen durch die Beklagte (sogenannte Retaxierung).

Der Kläger ist als Inhaber einer Apotheke Mitglied im Niedersächsischen Apothekerverband. Die Abrechnungen des Klägers als Apotheker gegenüber den Krankenkassen, auch gegenüber der Beklagten, für die an die Versicherten abgegebene Arzneimittel werden über das N. A. - NA - durchgeführt.

Zwischen dem Landesapothekerverband Niedersachsen und mehreren Primärkassen, darunter auch der Beklagten, besteht ein sogenannter Arznei-Liefervertrag (ALV), der gemäß § 129 Abs. 5 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) zur Ergänzung des Rahmenvertrages zwischen den Spitzenverbänden der Krankenkassen und dem Deutschen Apothekerverband gemäß § 129 Abs. 2 bis 4 SGB V sowie in Ergänzung der Vereinbarung über die Übermittlung von Daten im Rahmen der Arzneiabrechnung gemäß § 300 SGB V geschlossen worden ist und der in seinem § 8 Bestimmungen zur Rechnungslegung enthält.

In § 8 Abs. 1 des ALV heißt es:

"Die Rechnungslegung sowie die Weiterleitung der Original-Verordnungsblätter erfolgt jeweils für einen abgeschlossenen Kalendermonat … bis spätestens 2 Monate nach Ablauf des Kalendermonats, in dem die Lieferung erfolgte. ….Andernfalls entfällt der Anspruch auf Bezahlung."

In weiteren Vorschriften des ALV sind Fristen für die Beanstandung (Retaxierung) durch die Krankenkasse (innerhalb von 15 Monaten) sowie für die Einlegung des Einspruchs gegen die Beanstandung (3 Monate) und dessen Bearbeitung durch die Krankenkasse (erneut 3 Monate) geregelt.

Im Kalendermonat August 2007 wurden vom NA für die Apotheke des Klägers insgesamt ca. 1.750 Rezepte mit einem Gesamt-Abrechnungsvolumen von ca. 100.000,- Euro eingereicht. Bei 36 dieser Rezepte war als Datum der Leistungsabgabe an den Versicherten der "2. Mai 2007" angegeben. Das Abrechnungsvolumen der 36 Rezepte betrug 1.429,17 Euro

Am 2. April 2008, also ca. 7 Monate später, beanstandete die Beklage gegenüber dem Kläger 41 Rezepte mit einem Gesamt-Abrechnungsvolumen von ca. 1.600,- Euro, darunter die 36 Rezepte wegen von der Beklagten geltend gemachter Versäumung der Frist des § 8 Abs. 1 ALV in der Gesamthöhe von 1.429,17 Euro

Der Kläger legte unter dem 18. April 2008 Einspruch ein und machte geltend, die Verfristung der Abrechnung dürfe nicht zum Verlust seines Zahlungsanspruchs führen. Nach einem Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 3. August 2006 - B 3 KR 7/06 R - sei diese in einem ALV vorgesehene Rechtsfolge rechtswidrig bzw. verfassungswidrig. Denn der Verlust von Vergütungsansprüchen wegen bloßer Versäumung einer Abrechnungsfrist sei unverhältnismäßig, da es sich um eine Ordnungsvorschrift handele, deren Verletzung nicht zu einer Existenzbedrohung führen dürfe. Im Übrigen habe die Ursache für die Verfristung nicht bei ihm, dem Inhaber der Apotheke, sondern bei seinen ordnungsgemäß geschulten Mitarbeitern oder aber bei den Mitarbeitern des NA gelegen. Hierfür hafte er nicht.

Die Beklagte wies den Einspruch unter dem 22. Mai 2008 mit der Begründung zurück, die Beanstandung der 36 Rezepte wegen Verfristung sei rechtmäßig, da sich die Zwei-Monats-Frist mit dem anschließenden Verlust des Anspruchs aus dem eindeutigen Wortlaut des § 8 ALV ergebe und dieser Wortlaut ausschlaggebend sei. Die hierzu vom Kläger angeführte Entscheidung des BSG - B 3 KR 7/06 R - sei nicht einschlägig, weil es dort um eine Vorschrift eines ALV eines anderen Landesapothekerverbandes gegangen sei, in dem - anders als im niedersächsischen ALV - die Rechtsfolge des Wegfalls des Zahlungsanspruchs bei Firstüberschreitung nicht ausdrücklich geregelt gewesen sei. Diese Wegfall-Regelung sei aber in Niedersachsen ausdrücklich getroffen worden. Maßgeblich sei deshalb die Entscheidung des BSG vom 3. August 2006 - B 3 KR 6/06 R -, aus der sich der Wegfall des Zahlungsanspruches bei Verstoß eines Apothekers gegen die Vorschriften des maßgeblichen ALV ergebe. Zusammenfa...

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