Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Berufung. Zulässigkeit. form- und fristgerechte Berufungseinlegung. elektronischer Rechtsverkehr. Verbot der Übermittlung mehrerer elektronischer Dokumente mit gemeinsamer qualifizierter elektronischer Signatur. verfassungskonforme Auslegung
Leitsatz (amtlich)
Das in § 4 Abs 2 ERVV ausgesprochene Verbot der Übermittlung mehrerer elektronischer Dokumente mit einer gemeinsamen qualifizierten elektronischen Signatur bedarf einer verfassungskonformen Auslegung.
Tenor
Die Berufung der Klägerin ist zulässig.
Die Kostenentscheidung bleibt dem Endurteil vorbehalten.
Tatbestand
Die am 1. September 1963 geborene Klägerin begehrt die Gewährung einer Erwerbsminderungsrente.
Einen am 13. März 2013 von der Klägerin gestellten Antrag auf Leistungen zur medizinischen Rehabilitation lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 17. September 2013 ab, nachdem der Facharzt für Neurologie und Psychiatrie I. die Klägerin am 19. August 2013 begutachtet und ausgehend von einem Verdacht auf eine generalisierte Angststörung und Medikamentenabhängigkeit die Durchführung von Leistungen zur medizinischen Rehabilitation mangels erkennbarer Motivation zu einer Suchttherapie sowie zu einem psychotherapeutischen Vorgehen wegen der Angsterkrankung nicht empfohlen hatte.
Den am 17. April 2014 gestellten Erwerbsminderungsrentenantrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 27. Mai 2014 ab, weil die Klägerin auch unter Berücksichtigung der bei ihr vorliegenden psychischen Störung sowie Medikamentenabhängigkeit noch leichte bis mittelschwere körperliche Tätigkeiten arbeitstäglich sechs Stunden und mehr ausüben könne. Den hiergegen am 21. Juni 2014 eingelegten Widerspruch begründete die Klägerin damit, dass sie seit 2007 an einer Borrelioseerkrankung mit progredientem Verlauf und ständigen starken Kopf- und Rückenschmerzen leide und auf die Einnahme von Schmerzmitteln angewiesen sei. Auch die Wegefähigkeit sei stark eingeschränkt. Eine gegebenenfalls ergänzende Begründung des Widerspruchs erfolge nach der Einsichtnahme in die Verwaltungsakte. Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin sandte mit Schriftsatz vom 18. Juli 2014 die Verwaltungsakte an die Beklagte zurück und erhob am 10. Oktober 2014 Untätigkeitsklage bei dem Sozialgericht Braunschweig (S 2 R 521/14), weil die Beklagte ohne zureichenden Grund innerhalb der Frist von drei Monaten über den Widerspruch nicht entschieden habe. Mit Widerspruchsbescheid vom 17. November 2014 wies die Beklagte den Widerspruch sodann zurück, nachdem der sozialmedizinische Dienst der Beklagten durch den beratenden Arzt J. in der ärztlichen Stellungnahme vom 22. Oktober 2014 zu der Einschätzung gelangte, dass die Leiden der Klägerin durch nervenärztliche Fachbegutachtung beurteilt und gewürdigt worden seien und dabei weder für den neurologischen noch für den psychisch-kognitiven Bereich Funktionsdefizite erhoben worden seien, welche eine quantitative Leistungsminderung rechtfertigen würden.
Auf die am 1. Dezember 2014 hiergegen bei dem Sozialgericht Braunschweig erhobenen Klage hat das Sozialgericht zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts Befundberichte des behandelnden Facharztes für Allgemeinmedizin K. vom 29. März 2015 sowie des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie, Psychosomatische Medizin und Psychotherapie L. vom 17. März 2017 eingeholt und Beweis erhoben durch Einholung eines neuropsychiatrisch-psychosomatischen Gutachtens des Arztes für Neurologie, Psychiatrie, Psychotherapeutische Medizin und Psychoanalyse Dr. M., dass dieser nach einer ambulanten Untersuchung der Klägerin am 21. Juni 2017 erstattet hat. Der Sachverständige Dr. N. diagnostizierte bei der Klägerin: 1. Somatisierungsstörung, 2. sonstige phobische Störung, 3. keine Anhaltspunkte für eine Neuroborreliose, 4. kein Anhalt für eine Medikamentenabhängigkeit, 5. Halswirbelsäulensyndrom mit leicht- bis mittelgradigen Bewegungseinschränkungen ohne Schmerzen, 6. Wirbelsäulenfehlstatik mit Rundrücken und Hohlkreuz und Skoliosehinweisen, ohne größere Funktionseinschränkungen, mit Schmerzen und muskulären Verspannungen und 7. eine vordiagnostizierte Borreliose. Die Klägerin könne noch körperlich leichte bis zeitweise mittelschwere Arbeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt sechs Stunden und mehr unter Vermeidung von Arbeiten unter Zeitdruck durch Akkord- und Fließbandarbeit, Wechselschicht, Nachtschicht und Arbeiten mit herausgehobener Verantwortung für Menschen und Maschinen ausüben. Auch Arbeiten mit häufigem Heben, Tragen und Bewegen von Lasten über 5 kg bis 10 kg hinaus sowie Zwangshaltungen und Arbeiten mit häufigem Bücken oder Knien seien der Klägerin nicht mehr zumutbar. Erkrankungen, welche die Gehfähigkeit einschränkten, seien nicht ersichtlich. Das Rückenleiden sei undiagnostiziert und orthopädisch unbehandelt, die psychisch-psychosomatischen Erkrankungen führten nicht zu einer Einschränkung der Gehfähigkeit. Bei der Untersuchung fanden sich zudem deutliche negative Antwortverzerrungen un...