Entscheidungsstichwort (Thema)
Anspruch auf klinikvermeidende häusliche Krankenpflege. Behandlungspflege. beatmungspflichtiger Tetraplegiker. Kostenbegrenzung
Leitsatz (amtlich)
1. Ein Anspruch auf klinikvermeidende häusliche Krankenpflege besteht, falls sonst eine Krankenhausbehandlung erforderlich wäre (Aufgabe der bisherigen Senatsrechtsprechung, Urteil vom 13.7.1994 - L 4 Kr 108/93).
2. Ein beatmungspflichtiger Tetraplegiker hat Anspruch auf 24 Stunden täglich Behandlungspflege.
3. Der Anspruch nach § 37 Abs 2 S 1 SGB 5 ist nicht auf die Kosten einer Krankenhausbehandlung begrenzt.
Nachgehend
Tatbestand
Der Kläger begehrt über den 8. November 1993 hinaus häusliche Krankenpflege gemäß § 37 Abs 1 Fünftes Sozialgesetzbuch (SGB V), hilfsweise Behandlungspflege gemäß § 37 Abs 2 SGB V in Höhe der tatsächlich entstehenden Pflegekosten.
Der im Jahre 1959 geborene Kläger erlitt aufgrund eines Unfalls am 5. Mai 1989 eine Querschnittslähmung mit vollständigem Ausfall aller motorischen und sensiblen Funktionen sowie der Steuerung von Blase, Mastdarm und Sensibilität unterhalb C2/3. Insbesondere ist lähmungsbedingt die Eigenatmung verlorengegangen und muß künstlich ersetzt werden. Die Beatmung erfolgt durch einen implantierten Zwerchfellschrittmacher oder durch ein Beatmungsgerät.
Die Unterbringung und pflegerische Situation des Klägers gestaltet sich seit dem 8. November 1993 wie folgt: Der Kläger lebt, unterbrochen von Zeiten des Krankenhausaufenthalts, im Hause seiner Eltern. Er wird 24 Stunden am Tag durch eine Pflegekraft betreut. Diese erbringt sowohl Leistungen der Behandlungspflege als auch Leistungen der Grundpflege. Die hauswirtschaftliche Versorgung, z.B. die Reinigung des Krankenzimmers und der Wäsche, haben die Eltern des Klägers übernommen. Krankenhausaufenthalte fanden im streitigen Zeitraum vom 13. Februar bis 14. Februar 1994, 25. August bis 1. November 1994 und 2. Januar bis 16. April 1996 statt.
Im Anschluß an die stationäre Erstbehandlung in der W -W -Klinik W gewährte die Beklagte dem Kläger vom 24. Juli 1991 an häusliche Krankenpflege gemäß § 37 Abs 1 SGB V. Unterbrochen wurde die häusliche Krankenpflege durch Zeiten stationärer Behandlung in der W -W -Klinik W zwischen dem 4. Januar 1993 bis 27. Januar 1993, 16. Februar 1993 bis 8. März 1993 und 29. September 1993 bis 3. November 1993. Mit Bescheid vom 5. November 1993 stellte die Beklagte fest, daß Leistungen gemäß § 37 Abs 1 SGB V nicht mehr gewährt werden könnten. Ein Anspruch auf häusliche Krankenpflege nach § 37 Abs 1 SGB V bestehe nur dann, wenn Krankenhausbehandlung geboten, aber nicht durchführbar sei oder wenn sie durch die häusliche Krankenpflege vermieden oder verkürzt werde. Nach der Stellungnahme des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung Niedersachsen (MDKN) vom 11. Juni 1993 handele es sich jedoch um Leistungen bei hochgradiger Pflegebedürftigkeit. Gleichzeitig erklärte sich die Beklagte bereit, dem Kläger nach Beendigung der seit dem 29. September 1993 andauernden stationären Behandlung häusliche Krankenpflege gemäß § 37 Abs 2 SGB V in Höhe des täglichen Pflegesatzes der W -W -Klinik W zu gewähren. Der seinerzeit gültige tägliche Pflegesatz der vorgenannten Klinik belief sich im Department I (Querschnittsgelähmte) auf 740,29 DM. Gegen den Bescheid vom 5. November 1993 legte der Kläger Widerspruch ein. Mit Widerspruchsbescheid vom 12. April 1994 half die Beklagte dem Widerspruch insoweit ab, als sie Leistungen nach § 37 Abs 1 SGB V noch bis zum 8. November 1993 gewährte. Im übrigen wies sie den Widerspruch als unbegründet zurück.
Mit der hiergegen am 27. April 1994 vor dem Sozialgericht (SG) Osnabrück erhobenen Klage hat der Kläger hauptsächlich die weitere Gewährung der häuslichen Krankenpflege gemäß § 37 Abs 1 SGB V und hilfsweise die Zahlung der tatsächlich anfallenden Pflegekosten gemäß § 37 Abs 2 SGB V begehrt. Diese betrugen seinerzeit nach der Kostenaufstellung des Pflegedienstes W vom 12. Oktober 1993 31.300,-- DM pro Monat.
Während des Klageverfahrens teilte der Kläger der Beklagten mit, daß die bisher vom Pflegedienst W erbrachte Rund-um-Pflege zum 31. August 1994 gekündigt worden sei und er beabsichtige, die Pflege ab 1. September 1994 in eigener Regie zu dem bisher von der Beklagten gewährten Satz sicherzustellen. Die Beklagte teilte darauf dem Kläger in einem persönlichen Gespräch am 16. August 1994 mit, bei einer Verminderung der Kosten der Rund-um-Pflege sei eine weitere Zahlung des bisher gewährten Satzes nicht möglich. Vielmehr sei eine entsprechende Kürzung der Pflegekosten beabsichtigt. Unter Anrechnung der von ihr, der Beklagten, nicht zu tragenden Grundpflege seien zunächst 30 % der Pflegekosten in Abzug zu bringen. Mit Bescheid vom 30. August 1994 gewährte die Beklagte dem Kläger unter Hinweis auf den vorstehend beschriebenen Sachverhalt ab 1. September 1994 nur noch Behandlungspflege gemäß § 37 Abs 2 SGB V in Höhe von 518,20 DM täglich (70 % von 740,...