Entscheidungsstichwort (Thema)

Arbeitslosenhilfe. Bedürftigkeit. Einkommensanrechnung. tatsächlicher Unterhalt. Anwendung der Sachbezugsverordnung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Ein Arbeitsloser erhält kein seine Bedürftigkeit ganz oder teilweise ausschließendes Einkommen in Form einer Einnahme in Geldeswert, wenn ihm seine Mutter, die selbst vom Bezug von Sozialhilfe lebt, gegen Eigenbeteiligung von 49,00 DM im Monat Kost und Logis in ihrer Wohnung zur Verfügung stellt.

2. Die grundsätzlich ausschließlich für das Beitragsrecht im Recht der Arbeitslosenversicherung zur Ermittlung des Arbeitsentgelts anwendbare Sachbezugsverordnung kann in dieser Sachverhaltskonstellation auch nicht entsprechend angewandt werden.

 

Tatbestand

Der Rechtsstreit betrifft die Frage, ob dem Kläger Arbeitslosenhilfe (Alhi) für die Zeit vom 1. Oktober 1994 bis 30. September 1995 zusteht.

Der am 1972 geborene, unverheiratete Kläger bezog auf der Grundlage des Bescheides vom 23. März 1994 ab 15. März 1994 Alhi in Höhe von 72,60 DM je Woche (Leistungsgruppe A/O; Bemessungsentgelt: 170,-- DM; Nettolohnersatzquote: 53 %). Der Bewilligungsabschnitt lief bis zum 30. September 1994. Ab 24. Juni 1994 war der Kläger in Arbeit und beantragte nach deren Beendigung im Juli 1994 erneut Alhi. Diese wurde ihm mit Bescheid vom 4. Oktober 1994 ab 16. August 1994 bis zum Ende des Bewilligungsabschnitts in der vorgenannten Höhe weiter bewilligt.

In seinem Fortzahlungsantrag aus Oktober 1994 gab der Kläger an, dass er bei seiner Mutter wohne, die Hausfrau war und Sozialhilfe bezog. Er unterhalte dort Unterkunft und Verpflegung und steuere 40,-- DM monatlich bei.

Das Arbeitsamt (AA) Wilhelmshaven lehnte die Bewilligung von Alhi ab, da der aus Unterkunft und Verpflegung nach der Sachbezugsverordnung (SBVO) mit 610,-- DM als Einkommen umzurechnende und auf die Alhi anzurechnende Betrag von 131,54 DM je Woche den Leistungssatz des Klägers in Höhe von 72,60 DM wöchentlich übersteige (Bescheid vom 1. November 1994/Widerspruchsbescheid vom 22. November 1994).

Die Stadt W machte am 4. November 1994 seit 1. November 1994 bis zum Leistungsbeginn bei der Beklagten monatlich 417,-- DM aus Hilfe zum Lebensunterhalt als Ersatzanspruch geltend. Sie leistete für den Kläger ab November 1994 bis Juni 1995 jeweils Hilfe zum Lebensunterhalt in einer den Leistungssatz übersteigenden Höhe.

Den am 23. November 1994 zugestellten Widerspruchsbescheid hat der Kläger mit der am 29. November 1994 eingegangenen Klage angegriffen, die er auf die Leistungsunfähigkeit seiner Mutter stützte. Diese erhielt nach dem Bescheid der Stadt W von 28. September 1994 Sozialhilfe in Höhe von monatlich 1.244,40 DM.

Das Sozialgericht (SG) Oldenburg hat mit Urteil vom 4. Juni 1998 die angefochtenen Bescheide aufgehoben und die Beklagte zur Leistung von Alhi nach den gesetzlichen Vorschriften verurteilt. In den Entscheidungsgründen, auf die wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird, hat es ausgeführt, der Kläger sei bedürftig trotz der von der Mutter erhaltenen Unterkunft und Verpflegung. Denn hierauf habe der Kläger keinen Anspruch. Der Umstand, dass die Mutter unter Zurückstellung eigener Bedürfnisse dem Kläger tatsächlich Unterhalt geleistet habe, dürfe nicht dazu führen, die Beklagte von ihrer Leistungspflicht zu befreien.

Die gegen das am 9. Juli 1998 zugestellte Urteil eingelegte Berufung vom 22. Juli 1998 begründet die Beklagte damit, entscheidend sei die tatsächliche Leistungsgewährung ohne Rücksicht darauf, ob eine Rechtspflicht hierzu bestehe. Der tatsächlich empfangene Unterhalt sei nach der SBVO anzurechnen. Der Gesetzgeber habe eine Ausnahme von der Berücksichtigung tatsächlich erhaltener Einkünfte nicht vorgesehen, insbesondere eine Härteregelung nicht verabschiedet.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Oldenburg vom 4. Juni 1998 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger hat sich zweitinstanzlich nicht geäußert. Es ist aber nach seinem erstinstanzlichen Vorbringen davon auszugehen, dass er das angefochtene Urteil für zutreffend hält.

Die Stadt W hat im Prozess für den Zeitraum vom 1. Oktober 1994 bis zum 30. September 1995 einen Ersatzanspruch in Höhe von 4.791,50 DM gegen die Beklagte angemeldet.

Neben den Gerichtsakten beider Rechtszüge habe die den Kläger betreffenden Leistungsakten der Beklagten (Stamm-Nr:) vorgelegen und sind Gegenstand der Entscheidung gewesen.

 

Entscheidungsgründe

Die gemäß § 143 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässige Berufung ist begründet, soweit der Leistungszeitraum für November 1994 bis Juni 1995 betroffen ist. Denn insoweit hat die Stadt W ausweislich der dem Senat erteilten Auskunft vom 25. Mai 1999 laufende Hilfe zum Lebensunterhalt in Höhe von 636,75 DM monatlich (November 1994 bis Januar 1995) bzw 640,85 DM monatlich (Februar 1995 bis Juni 1995) geleistet. Insoweit gilt der etwaige Anspruch des Klägers nach § 107 Abs 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch -- Verwaltungsverfahren -- (SGB X) gegen die Beklagte als erfüllt. Es bleibt für diesen Zeitraum auch ...

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