Entscheidungsstichwort (Thema)

Zugang zur KVdR. Vorversicherungszeit. Pflichtversicherung. Verfassungsmäßigkeit

 

Leitsatz (amtlich)

Nach § 5 Abs 2 S 1 SGB 5 werden Zeiten einer Ehe mit einem Mitglied bis zum 31.12.1988 nur dann als Vorversicherungszeiten gemäß § 5 Abs 1 Nr 11 SGB 5 angerechnet, wenn die Zeiten der Familienversicherung gemäß § 10 SGB 5 auf einer Pflichtversicherung des Ehegatten des familienversicherten Mitgliedes beruhen.

 

Tatbestand

Streitig ist die Aufnahme der Klägerin in die Krankenversicherung der Rentner - KVdR -.

Die 1935 geborene Klägerin erlernte den Beruf der Bürokauffrau und nahm am 1. Juli 1950 erstmals eine Erwerbstätigkeit auf. Vom 1. Juli 1950 bis 30. Juni 1960 war sie Pflichtmitglied der Barmer Ersatzkasse und vom 1. Oktober 1962 bis 1. Januar 1978 als Familienmitglied in der Techniker Krankenkasse versichert - unterbrochen von der Zeit eigener Pflichtmitgliedschaft vom 1. August 1972 bis zum 31. Dezember 1974. Ihr Ehemann war vom 1. April 1970 bis 31. Dezember 1978 in der Techniker Krankenkasse freiwillig versichert. Ab 2. Januar 1978 war die Klägerin wiederum in der gesetzlichen Krankenversicherung pflichtversichert.

Am 11. April 1995 beantragte sie bei der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) die Zahlung von Altersrente. Mit Bescheid vom 6. Juni 1995 wurde der Klägerin ab 1. August 1995 Altersrente für Schwerbehinderte, Berufsunfähige oder Erwerbsunfähige bewilligt.

Die Beklagte teilte der Klägerin mit Bescheid vom 29. Mai 1995 mit, daß die Voraussetzungen für eine Pflichtversicherung in der KVdR wegen der nicht ausreichenden Vorversicherungszeit als Pflichtmitglied oder Familienversicherte nicht erfüllt seien.

Den Widerspruch der Klägerin vom 22. Juni 1995 wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 5. Dezember 1995 zurück. Sie führte zur Begründung aus, daß die Klägerin nicht die Voraussetzungen des § 5 Abs 1 Nr 11 5. Sozialgesetzbuch - SGB V - erfülle; denn sie habe seit der erstmaligen Aufnahme der Erwerbstätigkeit am 1. Juli 1950 bis zum Tag der Rentenantragstellung am 11. April 1995 in der 2. Hälfte der am 19. November 1972 beginnenden Rahmenfrist nicht mindestens 7361 Tage Pflichtversicherungszeit nachgewiesen. Innerhalb der 2. Hälfte des Erwerbslebens seien Pflichtversicherungszeiten vom 19. November 1972 bis 31. Dezember 1974 und vom 2. Januar 1978 bis 10. April 1995, insgesamt 7081 Tage, anrechenbar. Die durch die freiwillige Mitgliedschaft des Ehemannes bei der Techniker-Krankenkasse begründete Zeit der Familienversicherung vom 1. Januar 1975 bis 1. Januar 1978 könne nach Inkrafttreten des Gesundheits-Strukturgesetzes ab 1. Januar 1993 nicht mehr berücksichtigt werden. § 5 Abs 1 Nr 11 SGB V sei weder rechts- noch verfassungswidrig.

Hiergegen hat die Klägerin am 27. Dezember 1995 Klage vor dem Sozialgericht (SG) Hannover erhoben und vorgetragen, daß die ab 1. Januar 1993 geltende Neuregelung der Vorversicherungszeiten gegen Art 3 Abs 1 Grundgesetz (GG), Art 14 Abs 1 Satz 2 GG, das Rechts- und Sozialstaatsprinzip verstoße.

Das SG Hannover hat mit Urteil vom 15. Oktober 1997 den Bescheid der Beklagten vom 29. Mai 1995 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. Dezember 1995 aufgehoben und festgestellt, daß die Klägerin ab 1. August 1995 Mitglied der Beklagten in der Krankenversicherung der Rentner ist. Es hat zur Begründung ausgeführt, daß der streitbefangene Zeitraum vom 1. Januar 1975 bis 1. Januar 1978 nicht allein nach § 5 Abs 1 Nr 11 SGB V, sondern iVm § 5 Abs 2 Satz 1 SGB V zu beurteilen sei. Danach würde die Klägerin die Halbbelegung in vollem Umfang erfüllen. Es seien auch Zeiten der Ehe mit einem Mitglied zu berücksichtigen. Der Wortlaut des § 5 Abs 2 Satz 1 SGB V stelle ausdrücklich auf die "Ehe mit einem Mitglied" ab. Eine einschränkende Auslegung des Begriffs "Mitglied" auf den Teilbereich "Pflichtmitglied" würde im Ergebnis eine teleologische Reduktion bedeuten, für die sich eindeutige Anzeichen in der Absicht des Gesetzgebers oder in Sinn und Zweck der Norm finden lassen müßten. Dies könne indes nicht angenommen werden. Die jetzige Fassung des Abs 2 Satz 1 habe auch schon vor 1993 gegolten und der Gesetzgeber habe eine Änderung dieser Vorschrift - parallel zu Abs 1 Nr 11 - in dem Sinne, daß der Begriff "Mitglied" in "versicherungspflichtiges Mitglied" geändert werde, im GSG gerade unterlassen. Dem könne ein redaktionelles Versehen oder die Erwartung des Gesetzgebers zugrunde liegen, die Bedeutung des Begriffs "Mitglied" wandele sich nach der Verschärfung der Voraussetzungen des Abs 1 Nr 11 von selbst in "Pflichtmitglied". Ebenso könne dem aber der Gedanke zugrunde liegen, daß die vor 1989 liegenden Zeiten aus Gründen des Vertrauensschutzes wie bisher berücksichtigt werden sollten. Derartige Bestandsschutzgedanken habe der Gesetzgeber etwa auch in Art 56 GRG umgesetzt. Es lägen keine ausreichenden Gründe dafür vor, vom klaren Wortlaut des Abs 2 Satz 1 abzuweichen.

Gegen das ihr am 6. November 1997 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 3. De...

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