Entscheidungsstichwort (Thema)
Schwerbehindertenrecht: Voraussetzung der Zuerkennung des Merkzeichens aG bei einem mobilitätsbezogenen Leiden
Orientierungssatz
1. Die Zuerkennung eines Merkzeichens “aG„ bei einer krankheitsbedingten Mobilitätseinschränkung kommt nur in Betracht, wenn die mobilitätsbezogenen Teilhabebeeinträchtigungen einen Gesamt-GdB von mindestens 80 ergeben.
2. Einzelfall zur Bestimmung des Gesamt-GdB als Voraussetzung der Zuerkennung eines Merkzeichens “aG„ für eine außergewöhnliche Gehbehinderung (hier: mobilitätsbezogene Teilhabebeeinträchtigung in Höhe eines GdB von mindestens 80 verneint).
Tenor
Der Antrag der Klägerin auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Berufungsverfahren wird abgelehnt.
Gründe
Nach § 73a Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) i.V.m. § 114 Satz 1 der Zivilprozessordnung (ZPO) kommt die Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) nur in Betracht, wenn eine Partei nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Eine hinreichende Erfolgsaussicht besteht dann, wenn der Antragsteller/die Antragstellerin - bei summarischer Prüfung - in der Hauptsache möglicherweise obsiegen wird. Erfolgsaussichten bestehen vor allem dann, wenn die Entscheidung in der Hauptsache von einer schwierigen, bislang ungeklärten Rechtsfrage abhängt oder von Amts wegen weitere Ermittlungen durchzuführen sind (§ 103 SGG), bevor die streiterheblichen Fragen abschließend beantwortet werden können (Bundesverfassungsgericht [BVerfG], Beschluss vom 13.03.1990 - 2 BvR 94/88, NJW 1991, 413, 414f.; Kammerbeschlüsse vom 10.12.2001 - 1 BvR 1803/97 - NJW-RR 2002, 665, 666 und vom 20.02.2002 - 1 BvR 1450/00 - NJW-RR 2002, 1069, 1070; Senatsbeschluss vom 04.07.2017 - L 17 U 386/17 B). Maßgeblicher Zeitpunkt zur Prüfung der Erfolgsaussicht ist grundsätzlich der Zeitpunkt der Beschlussfassung des Gerichts (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, Kommentar zum SGG, 12. Aufl., § 73a Rn. 13d).
Unter Berücksichtigung der vorgenannten Kriterien hat die Rechtsverfolgung durch die Klägerin im Berufungsverfahren keine hinreichende Aussicht auf Erfolg, weil die Entscheidung in der Hauptsache weder von einer schwierigen, bislang ungeklärten Rechtsfrage abhängt noch weitere Ermittlungen von Amts wegen vorzunehmen sind. Nach summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage unter Berücksichtigung der Beweiserhebung im sozialgerichtlichen Verfahren hat die Berufung keine Aussicht auf Erfolg. Die Klägerin ist durch den angefochtenen Bescheid vom 30.06.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05.09.2016 und des angenommenen Teil-Anerkenntnisses der Beklagten vom 05.10.2017 nicht im Sinne von § 54 Abs. 2 S. 1 SGG beschwert, denn dieser Bescheid entspricht hinsichtlich der allein noch streitigen Feststellung der Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens "aG" der Sach- und Rechtslage. Ein Anspruch auf Feststellung dieser Voraussetzungen besteht nach summarischer Prüfung nicht.
Maßgeblich für die Beurteilung der Anspruchsvoraussetzungen ist bei der vorliegenden Verpflichtungsklage die Rechtslage zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (vgl. hierzu Meyer-Ladewig et al, aaO., § 54 Rn 34 ff.). Die am 01.01.2018 in Kraft getretenen Regelung des § 229 Abs. 3 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX) bestimmt - inhaltsgleich mit der bis zum 31.12.2017 geltenden Regelung des § 146 Abs. 3 SGB IX a.F. - dass schwerbehinderte Menschen mit außergewöhnlicher Gehbehinderung Personen mit einer erheblichen mobilitätsbezogenen Teilhabebeeinträchtigung sind, die einem Grad der Behinderung von mindestens 80 entspricht. Eine erhebliche mobilitätsbezogene Teilhabebeeinträchtigung liegt nach der Legaldefinition des § 229 Abs. 3 Satz 2 SGB IX vor, wenn sich die schwerbehinderten Menschen wegen der Schwere ihrer Beeinträchtigung dauernd nur mit fremder Hilfe oder mit großer Anstrengung außerhalb ihres Kraftfahrzeuges bewegen können. Nach Satz 3 der Vorschrift zählen hierzu insbesondere schwerbehinderte Menschen, die auf Grund der Beeinträchtigung der Gehfähigkeit und Fortbewegung - dauerhaft auch für sehr kurze Entfernungen - aus medizinischer Notwendigkeit auf die Verwendung eines Rollstuhls angewiesen sind. Weitere, in Satz 4 der Vorschrift beispielhaft aufgeführte Gesundheitsstörungen sind nach § 229 Abs. 3 Satz 5 SGB IX als außergewöhnliche Gehbehinderung anzusehen, wenn nach versorgungsärztlicher Feststellung die Auswirkung der Gesundheitsstörungen sowie deren Kombination auf die Gehfähigkeit dauerhaft so schwer ist, dass sie der unter Satz 1 genannten Beeinträchtigung gleich kommt.
Für die Zuerkennung des Merkzeichens "aG" normiert § 229 Abs. 3 SGB IX somit zwei Voraussetzungen, welche kumulativ vorliegen müssen: Bei dem Betroffenen muss (1.) eine erhebliche mobilitätsbezogene Teilhabebeeinträchtigung beste...