Entscheidungsstichwort (Thema)
Gewährung von Leistungen der Grundsicherung für einen arbeitsuchenden Unionsbürger im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes. Folgenabwägung. Komplexe Rechtslage
Orientierungssatz
1. Umstritten ist weiterhin, ob ein Unionsbürger als Arbeitsuchender von den Leistungen der Grundsicherung nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB 2 ausgeschlossen ist.
2. Dies hat zur Folge, dass bei weiterhin ungeklärter Rechtslage wegen deren Komplexität dem Antragsteller Leistungen der Grundsicherung aufgrund deren existenzsichernden Charakters im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes zu bewilligen sind.
Normenkette
SGB II § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2; VO (EG) 883/2004 Art. 4, 70 Abs. 1-2, 4; SGG § 86b Abs. 2 S. 2
Tenor
Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Sozialgerichts Düsseldorf vom 23.04.2015 wird zurückgewiesen.
Der Antragsgegner hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Antragstellerinnen für das Beschwerdeverfahren zu erstatten.
Den Antragstellerinnen wird für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt K, X, bewilligt.
Gründe
I.
Streitgegenstand ist die einstweilige Verpflichtung des Antragsgegners, den Antragstellerinnen Leistungen nach dem SGB II (Regelbedarf) zu gewähren.
Die im Juli 1993 geborene Antragstellerin zu 1) sowie ihre im Juni 2012 geborene Tochter, die Antragstellerin zu 2), sind polnische Staatsangehörige.
Am 11.07.2011 reiste die Antragstellerin zu 1) in die Bundesrepublik Deutschland ein. Im Zeitraum vom 23.07. bis zum 31.08.2014 übte sie eine geringfügige Beschäftigung bei der I GbR aus. Das Beschäftigungsverhältnis endete durch betriebsbedingte Kündigung.
Zuletzt wurden den Antragstellerinnen mit Bescheid vom 05.01.2015 Leistungen bis zum 28.02.2015 bewilligt. Eine darüber hinausgehende Bewilligung wurde abgelehnt, da das Freizügigkeitsrecht der Antragstellerin zu 1) am 01.03.2015 endete. Seitdem befinde sich die Antragstellerin zu 1) lediglich zur Arbeitsuche in Deutschland und sei daher von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen.
Die Antragstellerinnen legten gegen den Bescheid vom 05.01.2015 Widerspruch ein, über den bisher noch nicht entschieden wurde.
Am 03.03.2015 haben die Antragstellerinnen beim Sozialgericht Düsseldorf im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes die Verpflichtung des Antragsgegners zur Zahlung von Leistungen nach dem SGB II beantragt. Sie haben vorgetragen, dass ihre einzigen Einnahmen aus dem Kindergeld sowie Unterhaltsvorschussleistungen bestünden. Diese seien nicht ausreichend, um den Lebensunterhalt zu bestreiten.
Mit Beschluss vom 23.04.2015 hat das Sozialgericht den Antragsgegner verpflichtet, vorläufig ab dem 03.03.2015 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II in Form des Regelbedarfs bis zum 03.09.2015, längstens bis zum rechtskräftigen Abschluss des Hauptsacheverfahrens, zu gewähren. Sowohl Anordnungsanspruch als auch Anordnungsgrund seien von den Antragstellerinnen glaubhaft gemacht worden. Zweifel an dem Vorliegen der anspruchsbegründenden Tatsachen seien im Rahmen der im Eilrechtsschutz gebotenen summarischen Prüfung nicht ersichtlich. Auch nach dem Urteil des EuGH vom 11.11.2014 - C-333/13 - in Sachen Dano sei diese Rechtsfrage noch von entscheidungserheblicher Bedeutung, weil sich das Urteil Dano auf eine andere Fallgestaltung beziehe und die Vereinbarkeit eines Leistungsausschlusses mit europäischem Gemeinschaftsrecht Gegenstand des Vorlagebeschlusses des BSG vom 12.12.2013 - B 4 AS 9/13 R sei.
Gegen den am 23.04.2015 zugestellten Beschluss richtet sich die Beschwerde des Antragsgegners vom 29.04.2015. Die Antragsstellerinnen seien gemäß § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen. Dieser Ausschlussgrund sei mit europäischem Gemeinschaftsrecht, wie der EuGH durch die Entscheidung vom 11.11.2014 bestätigt habe, vereinbar.
II.
Die zulässige Beschwerde ist unbegründet. Zu Recht hat das Sozialgericht den Antragsgegner zu Leistungen an die Antragstellerinnen verpflichtet.
Einstweilige Anordnungen sind nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Regelungsanordnung). Die Erfolgsaussichten in der Hauptsache (Anordnungsanspruch) und die Eilbedürftigkeit der erstrebten einstweiligen Regelung (Anordnungsgrund) sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO). Besondere Anforderungen an die Ausgestaltung des Eilverfahrens ergeben sich aus Art. 19 Abs. 4 GG, wenn ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen entstehen können, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären. Eine solche Fallgestaltung ist anzunehmen, wenn es - wie hier - im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes um die Sicherung des verfassungsrechtlich garantierten Existenzminimums während eines gerichtlichen Hauptsacheverfa...