Entscheidungsstichwort (Thema)
Bewilligung von Leistungen der Grundsicherung für einen Unionsbürger durch einstweiligen Rechtsschutz
Orientierungssatz
1. Die Gewährung von Leistungen der Grundsicherung setzt u. a. nach § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGB 2 Erwerbsfähigkeit des Antragstellers voraus. Der Annahme einer rechtlichen Erwerbsfähigkeit i. S. des § 8 Abs. 2 SGB 2 steht bei einem polnischen Staatsangehörigen dessen ausländische Staatsangehörigkeit nicht entgegen, weil er sich als Unionsbürger auf die Arbeitnehmerfreizügigkeit berufen kann.
2. Im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ist die Frage nicht abschließend zu klären, ob ein solcher Antragsteller deshalb keine Leistungen erhalten kann, weil zu dessen Lasten der Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB 2 eingreift.
3. Wegen der damit zusammenhängenden schwierigen und komplexen Rechtsfragen ist im Eilrechtsschutz eine Folgenabwägung vorzunehmen. Diese fällt wegen des existenzsichernden Charakters der Grundsicherungsleistungen regelmäßig zu Gunsten des Antragstellers aus. In Anlehnung an die Regelung des § 41 Abs. 1 S. 4 SGB 2 kann der Bewilligungszeitraum begrenzt werden.
Tenor
Auf die Beschwerde der Antragsteller wird der Beschluss des Sozialgerichts Düsseldorf vom 29.08.2013 geändert: Der Antragsgegner wird verpflichtet, den Antragstellern ab dem 02.12.2013 vorläufig bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung über ihre Klage (Az S 35 AS 3436/13) gegen den Bescheid vom 03.07.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05.09.2013, längstens jedoch bis zum 02.03.2014 Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) nach Maßgabe der gesetzlichen Vorschriften in derzeitiger Höhe von monatlich 427,84 Euro für die Antragstellerin zu 1) und 105,00 Euro für den Antragsteller zu 2) zu gewähren sowie die Beiträge für die gesetzliche Kranken- und Pflegeversicherung der Antragsteller bei der IKK Classic im oben genannten Zeitraum zu übernehmen. Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.
Der Antragsgegner trägt die Hälfte der erstattungsfähigen außergerichtlichen Kosten der Antragsteller in beiden Rechtszügen.
Den Antragstellern wird für das Beschwerdeverfahren ab 08.10.2013 Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwältin T, L, zu den Bedingungen einer im Bezirk des Sozialgerichts Düsseldorf ansässigen Rechtsanwältin gewährt.
Gründe
I.
Die 1965 geborene Antragstellerin zu 1) und ihr 1999 geborener Sohn T (Antragsteller zu 2), sind polnische Staatsangehörige. Sie reisten im Oktober 2012 in die Bundesrepublik Deutschland ein, um in der Nähe der hier wohnenden weiteren Kinder der Antragstellerin, dem 1983 geborenen M L (M.L.) und der 1985 geborenen B G (B.G.) zu leben. Diese hatten sie bereits in Polen unterstützt und unterstützten sie zunächst auch in Deutschland. Die Antragsteller bewohnten zunächst bis Mai 2013 eine Wohnung unter der Anschrift T-straße 00 in X. Dieses Mietverhältnis wurde aufgrund unregelmäßiger Mietzahlungen gekündigt. Seither leben die Antragsteller in der Wohnung des Sohnes M.L. Der Ehemann der Antragstellerin und Vater der Kinder (N L, geb. am 00.00.1958) verstarb im Februar 2013 in Polen nach jahrelanger Alkoholerkrankung. Der Antragsteller zu 2), für den die Antragstellerin zu 1) von der Familienkasse Kindergeld in Höhe von 184 Euro monatlich erhält, besucht die 8. Klasse einer Realschule in X. Die Antragsteller sind seit dem 01.10.2012 freiwillig bei der IKK Classic krankenversichert. Dort ruhen die Leistungsansprüche derzeit wegen eines Beitragsrückstandes.
Die Antragsteller beantragten am 28.05.2013 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II, wobei sie angaben, mietfrei zu wohnen. Der Antrag wurde mit Bescheid vom 03.07.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05.09.2013 unter Hinweis auf die Ausschlussvorschrift des § 7 Abs. 1 S. 2 SGB II abgelehnt. Hiergegen haben die Antragsteller am 02.10.2013 Klage beim Sozialgericht Düsseldorf (SG) unter dem Aktenzeichen S 35 AS 3436/13 erhoben.
Am 23.07.2013 haben die Antragstellerin einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung bei dem SG gestellt und beantragt, ihnen vorläufige Leistungen nach dem SGB II zu gewähren.
Das SG hat den Eilantrag mit Beschluss vom 29.08.2013 abgelehnt. Die Antragsteller seien gem. § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 und 2 SGB II von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen. Ein Aufenthaltsrecht folge nicht aus Gründen der Familienzusammenführung, weil die in Deutschland lebenden Kinder der Antragstellerin, M.L. und B.G. älter als 21 Jahre und daher keine Verwandten im Sinne des § 3 Abs. 2 des Gesetzes über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern (FreizügG/EU) seien. Damit könne sich ein Aufenthaltsrecht allein aus dem Zweck der Arbeitssuche ergeben.
Nach Auffassung der Kammer sei der Ausschlussgrund des § 7 Abs. 1 S. 2 SGB II auch mit europäischem Gemeinschaftsrecht vereinbar.
Dies gelte zum einen für die Verordnung (EG) Nr. 883/2004 (VO (EG) 883/2004) des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29.04.2004. Das in Art. 4...