Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende. Einkommensberücksichtigung. Trinkgeldzahlungen an einen Taxifahrer
Orientierungssatz
1. Zugeflossene Trinkgelder sind als Erwerbseinkommen gemäß § 11 Abs 1 S 1 SGB 2 als Einkommen zu berücksichtigen. Bei Trinkgeldeinnahmen in Höhe von rund 200 Euro monatlich kann § 11a Abs 5 SGB 2 der Einkommensberücksichtigung nicht entgegen gehalten werden.
2. Trinkgelder werden sozialversicherungsrechtlich gem § 14 Abs 1 S 1 SGB 4 zum Arbeitsentgelt gerechnet, weil sie im Zusammenhang mit einer Beschäftigung erzielt werden (vgl BSG vom 31.3.2015 - B 12 R 1/13 R = SozR 4-2400 § 14 Nr 19). Dass Trinkgelder gem § 3 Nr 51 EStG lohnsteuerfrei und über § 1 Abs 1 S 1 Nr 1 SvEV deshalb sozialversicherungsbeitragsfrei gestellt sind, ist für die grundsicherungsrechtliche Frage der Einkommensberücksichtigung irrelevant.
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 29.07.2019 wird zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist im Berufungsverfahren streitig, ob im Rahmen einer Beschäftigung als Taxifahrer erzieltes Trinkgeld im September 2018 und Oktober 2018 als Erwerbseinkommen bedarfsmindernd angerechnet werden kann.
Der am 00.00.1959 geborene Kläger ist verheiratet und bezieht zusammen mit seiner Ehefrau Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Er lebt mit seiner Ehefrau in einer Mietwohnung in L. Die monatliche Gesamtmiete beträgt 620 EUR (445 EUR Grundmiete, 115 EUR Betriebskosten, 60 EUR Heizkosten). Die Warmwasseraufbereitung erfolgt dezentral über strombetriebene Einrichtungen.
Der Kläger ist angestellter Taxifahrer der Firma T GmbH & Co. KG. Zusätzlich zu dem schwankenden monatlichen Gehalt erhält der Kläger regelmäßig von seiner Arbeitgeberin von Kunden gezahltes Trinkgeld ausgezahlt. Die Auszahlung des Gehalts erfolgt durch monatlichen Abschlag von je 1.000 EUR. Der überschießende monatliche Nettogehaltsanteil nebst Trinkgeldern wird im jeweiligen Folgemonat ausgezahlt.
Mit Bescheid vom 06.02.2018 bewilligte der Beklagte dem Kläger und dessen Ehefrau Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts von März 2018 bis Februar 2019. Für September 2018 und Oktober 2018 bewilligte er Leistungen iHv insgesamt monatlich 400,40 EUR. (jeweils 200,20 EUR). Dabei ging der Beklagte von einem monatlichen Einkommen iHv 1625,80 EUR brutto/1.284,80 EUR netto aus.
Ende August 2018 legte der Kläger seine Lohnabrechnung für August 2018 vor. Ausweislich dieser Abrechnung hat der Kläger brutto 1.762,22 EUR verdient, was einem Nettogehalt von 1.435,44 EUR entsprach. Hinzu kamen Trinkgelder iHv 214,90 EUR, sodass sich ein Gesamtauszahlungsbetrag iHv 1.650,34 EUR ergab. Abzüglich des bereits im August 2018 ausgezahlten Vorschusses von 1.000 EUR wurden dem Kläger im September 2018 für August 2018 650,34 EUR ausgezahlt. Daneben erhielt der Kläger im September 2018 einen Lohnvorschuss iHv 1.000 EUR für September.
Mit an den Kläger gerichtetem Bescheid vom 24.09.2018 hob der Beklagte den Bewilligungsbescheid vom 06.02.2018 für September 2018 teilweise auf und forderte vom Kläger einen Betrag iHv 182,77 EUR zurück. Die Ehefrau des Klägers erhielt ebenfalls einen entsprechenden Aufhebungs- und Erstattungsbescheid für September 2018 über 182,77 EUR.
Am 09.10.2018 legte der Kläger Widerspruch ein. Die Anrechnung des Trinkgeldes von 214,90 EUR als Einkommen sei nach einer Entscheidung des Sozialgerichts Karlsruhe (Urteil vom 30.03.2016 - S 4 AS 2297/15) unzulässig. Die Erstattungssumme reduziere sich mithin auf 75,32 EUR (Gesamterstattungssumme von 365,54 EUR [2 x 182,77 EUR] - 214,90 EUR Trinkgeld = 150,64 EUR, mithin je Person der Bedarfsgemeinschaft 75,32 EUR). Diese 75,32 EUR habe er an den Beklagten zurücküberwiesen.
Nachdem der Kläger seine Lohnabrechnung für September 2018 vorlegte (Brutto 1.584,32 EUR/Netto 1.299,16 EUR/Trinkgeld 225,80 EUR), errechnete der Beklagte für Oktober 2018 eine Gesamtüberzahlung von 240,16 EUR, hob den Bewilligungsbescheid vom 06.02.2018 insoweit teilweise auf und forderte vom Kläger eine Rückerstattung von anteilig 120,08 EUR (Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 29.10.2018).
Mit E-Mail vom 04.11.2018 beantragte der Kläger die Überprüfung des Aufhebungs- und Erstattungsbescheides vom 29.10.2018. Die Anrechnung des Trinkgeldes als Einkommen sei unzulässig. Der Beklagte lehnte mit Bescheid vom 08.11.2018 eine Änderung des Aufhebungs- und Erstattungsbescheides vom 29.10.2018 ab. Den hiergegen eingelegten Widerspruch des Klägers vom 06.12.2018 wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 29.01.2019 als unbegründet zurück. Mit gesondertem Widerspruchsbescheid vom 29.01.2019 wies der Beklagte zudem den Widerspruch des Klägers gegen den Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 24.09.2018 als unbegründet zurück. Die Anrechnung des Trinkgeldes als Erwerbseinkommen sei nicht zu beanstanden. Trinkgelder seien bei der Berufsgruppe der Taxifahrer re...